0097 - Das Höllentor
Yamun.«
»Was ist schon ein Verdacht, Sidi Zamorra? Natürlich habe ich einen solchen Verdacht. Er hängt mit dem Tempel zusammen.«
»Dem Tempel der Gelben Furien?«
»Ja, Sidi. Uns ist aufgefallen, daß Ben Jussuf die Wachhunde häufiger wechselt als sonst.«
»Erklären Sie mir das, bitte«, bat der Professor.
»Gern, Sidi. Sie müssen wissen, daß auf den Tempelstufen Hunde zur Wache aufgestellt sind. Für Sie wird es merkwürdig klingen. Aber auch der Aberglaube ist so unerschütterlich wie der Glaube eines Mohammedaners. Es gibt dort ganz seltsame Hunderassen. Die eine Gruppe nennt man die Gelben Hunde.«
»Ich habe früher darüber gelesen«, gab Zamorra zurück. »Man sagt doch, daß der Besuch des Tempels Unglück bringt, wenn die Gelben Hunde Wache halten. Oder irre ich mich da?«
»Nein, Sidi. Das ist richtig. Es heißt: gehe nicht in den Tempel, wenn du die Gelben Hunde siehst. Sie bringen Krankheit und Unheil über dich.«
»Und die anderen Rassen?« fragte der Professor.
»Da gibt es die Weißen und die Schwarzen Hunde. Die Weißen Hunde, mit rötlichen Augen, verheißen den Menschen Gesundheit und Glück. Und die Schwarzen Hunde machen einen reich und mächtig. Gehst du zum Tempel ein, heißt es, wenn die Weißen Hunde wachen, dann überhäuft dich das Schicksal mit Glück und hält die Krankheiten von dir fern. Und gehst du ein zum Tempel, wenn die Schwarzen Hunde zur Wache bestellt sind, wirst du Kraft und Reichtum ernten.«
»Und was soll das mit den Entführten zu tun haben?« fragte Zamorra und griff nach der Teeschale. Er trank in langsamen Schlucken.
Yamun wiegte den Kopf hin und her.
»Es ist, wie gesagt, nur ein Verdacht, Sidi. Aber in letzter Zeit sind die Gelben Hunde kaum zu sehen. Das bedeutet, daß Ben Jussuf die Entführten in den Tempel bringen könnte, zu irgendeinem Zweck. Vielleicht benötigt er sie als Arbeitskräfte. Nur wissen wir nicht, wozu.«
»Aber er kann doch nicht so viele Menschen im Tempelraum verstecken«, wandte Zamorra ein. »Der Tempel mag groß sein, aber eine größere Anzahl von Menschen kann man doch nicht unsichtbar machen.«
»Nein, Sidi. Ich glaube auch nicht, daß die Entführten im Tempel selbst sind. Sie werden dort wohl nur auf etwas vorbereitet. Immer vor einer Entführung nimmt Ben Jussuf die Gelben Hunde weg. Das heißt, daß den Geiseln kein Schaden zugefügt werden soll. Er braucht sie auf irgendeine Weise.«
»Trotzdem würde es auffallen, wenn dort Gefangene hinein- und herausgeführt würden, Yamun.«
»Ben Jussuf arbeitet mit ungewöhnlichen Mitteln, Sidi Zamorra. Er ist nicht nur Mensch. Er hat etwas von seinen Ahnen gleichen Namens, und diese waren die mächtigsten Geister der Araber. Sie haben ihm ihre Macht übertragen. Man sagt von Ben Jussuf, daß er sich unsichtbar machen kann. Er ist so stark, daß er allein und unbewaffnet gegen zehn Messerkämpfer antritt. Er hat noch nie verloren.«
»Fassen wir einmal zusammen, Yamun. Wieviele junge Menschen sind in den letzten Wochen geraubt worden?«
»Weit über hundert, Sidi. Die genaue Zahl kenne ich nicht einmal.«
»Also mehr als hundert Menschen. Wenn es zutrifft, daß Ben Jussuf sie nicht umbringen will, sondern sie zu einer Arbeit benötigt — welche könnte das sein?«
Zamorra ahnte die Antwort auf diese Frage bereits.
Unwillkürlich griff er nach seinem Amulett, das er ständig bei sich führte. Sofort spürte er die geheimnisvolle, überirdische Kraft, die ihm aus diesem kleinen Gegenstand entgegenströmte.
Fragend sah er auf Yamun.
»Das Wasser…«, sagte der Berber nur.
Zamorra nickte.
»Ben Jussuf kann die jungen Leute nicht für Arbeiten über Tage gebrauchen. Jeder von euch kennt zumindest ein paar der geraubten Leute. Dieser Gefahr darf sich Jussuf nicht aussetzen. Er muß im Verborgenen arbeiten. Und ich bin sicher, daß er es ist, der durch einen gemeinen Trick das Wasser in der Oase abgräbt. Wie, das muß ich herausfinden.«
»Es ist schwer, Sidi Zamorra«, wandte Yamun ein. »Ben Jussuf ist übermächtig. Aber wir haben Vertrauen zu Ihnen, Sidi. Sie sind das, was wir einen Taleb nennen.«
Zamorra wehrte ab.
»Ein Medizinmann?« Er lachte. »Nein, Yamun. Ich bin nichts dergleichen. Ich versetze mich in die Denk- und Handlungsweise der Menschen, und die dämonischen Fälle löse ich mit Hilfe der Parapsychologie. Und auf meine Körperkräfte konnte ich mich ebenfalls immer verlassen. Ein Mann wie dieser Ben Jussuf schreckt mich nicht.«
»Ich glaube
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