0097 - Der unheimliche Richter
haben, denn sie kam aus dem Zimmer. Himmel, warum quält ihr sie denn so?«
»Halt dein Maul!« schrie Maddox den jungen Mann an. »Du kannst noch winseln, wenn es soweit ist.«
Der Richter machte eine wütende Handbewegung und drehte sich um. Dann schritt er auf die Tür der Bibliothek zu, zog sie jedoch nicht ganz ins Schloß, nachdem er den Raum betreten hatte. Harold Parker konnte nicht hören, was er in der Bibliothek tat, er vernahm jedoch ein Poltern und schloß daraus, daß der Richter seinen toten Vater aus der Schlinge genommen hatte.
Jetzt war sie frei für den nächsten Mord…
James Maddox kehrte zurück. Und diesmal hielt er die Schlinge wieder in der Hand. Harold hatte richtig gefolgert. Sein Vater lag jetzt irgendwo am Boden.
Maddox trat seitlich an den jungen Mann heran und zeigte ihm die Henkersschlinge. »Sie wird auch dich vom Leben in den Tod befördern«, versprach er.
Parker schluckte.
Maud, seine Schwester, stand neben ihm. Sie hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Schwer holte sie Luft. Auf ihrem Gesicht glänzte der Schweiß.
»Stellt ihn auf die Beine!« befahl der unheimliche Richter seinen beiden Vasallen.
Die Höllenknechte bückten sich. Mit jeweils einer Hand wurde Harold hochgehievt, in der anderen hielten sie nach wie vor ihre gefährlichen Lanzen.
Harold Parker schwankte in ihrem Griff. Er war seelisch und körperlich ziemlich am Ende. Hätten ihn die beiden nicht festgehalten, er wäre sicherlich gefallen, denn aus eigener Kraft konnte er sich kaum mehr auf den Füßen halten.
Der Richter trat dicht an ihn heran. In der rechten Hand hielt er die Schlinge, mit der anderen hatte er das Gelenk des Mädchens umklammert.
»Weißt du eigentlich, wo wir dich aufhängen werden, Harold Parker?« fragte er.
»Nein!« schrie ihn Harold an.
»Im Garten«, erwiderte Maddox. »Dort habe ich wunderschöne Bäume mit starken Ästen gesehen. Sie sind genau das richtige für dich, Harold Parker!«
»Geh zur Hölle!«
Maddox lachte. »Ja, zum Teufel gehe ich auch, aber erst, wenn du gehängt worden bist.«
Parker zuckte zusammen. Der Unheimliche sprach völlig normal von der Hölle. So, als wäre sie nichts Besonderes. Maddox öffnete die Tür.
Kalter Wind fuhr in die Diele. Der Himmel sah grau aus. Regenwolken zogen heran. Nicht mehr lange, und die Erde würde in einem nassen, vom Himmel fallenden Schleier versinken. Harold fröstelte, als er die Treppe betrat. Doch nicht nur vor Kälte, sondern auch vor Angst.
Diese Henker kannten kein Pardon. Sie waren unbarmherzig in ihrer Rache.
Leer lag der große Vorgarten vor ihnen. Kein anderer Mensch befand sich auf dem Grundstück.
Der sonst so grüne Rasen sah winterlich braun aus. Letzte Laubreste vom Herbst lagen noch dort.
Niemand hätte Harold Parker gehört, wenn er um Hilfe schrie. Zu groß und weiträumig war das Grundstück.
Sie schritten die Treppe hinab.
Stufe für Stufe nahmen sie.
Maud stolperte zweimal. Der unheimliche Richter ließ sie jedoch nicht fallen, sondern zog sie weiter.
Jede Stufe brachte die beiden Geschwister dem Sterben näher. Maddox ging vor. Als die Treppe hinter ihm und dem Mädchen lag, beschleunigte er sogar noch seine Schritte. Sein Ziel war der erste große Baum auf dem gewaltigen Rasen.
Die Eiche befand sich dicht hinter dem Blumenrondell. Im Sommer blühten hier farbenprächtige Gewächse, jetzt bedeckte Humus die Muttererde.
Die alte Eiche streckte ihre Äste und Zweige wie zahlreiche Finger vor. Viele waren knorrig, aber man sah dem Baum an, welch eine Kraft noch in ihm steckte.
Er war gesund, und er würde das Gewicht halten.
Unter dem von Maddox ausgesuchten Ast blieben sie stehen. Er lag ziemlich hoch, und dem unheimlichen Richter fiel ein, daß sie die Trittleiter zurückgelassen hatten.
Er schickte einen der beiden Höllenknechte los, um sie zu holen. Der zweite bewachte nach wie vor Harold Parker. Er hielt seine Lanze so, daß der junge Mann erst gar nicht auf die Idee kam, Widerstand zu leisten.
Das Mädchen war zu Boden gesunken. Maud saß auf dem Rasen und hatte ihr Gesicht in beide Hände vergraben. Ein krampfhaftes Schluchzen schüttelte ihren Körper.
Der unheimliche Richter warf ihr einen verächtlichen Blick zu. Er haßte Menschen, die eine Schwäche zeigten.
Der Höllenknecht kehrte zurück. In der rechten Hand hielt er seine Lanze, in der linken die Trittleiter.
Es sah schaurig aus, wie er über den Weg lief. Fast konnte man meinen, er würde den Boden
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