53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten
ERSTES KAPITEL
Im Tal des Todes
Beide, sowohl Steinbach als auch Günther von Langendorff, hatten ihre Pferde auf der Jacht mit nach Yuma genommen. Als sie sich dort von dem Steuermann verabschiedet hatten, fanden sie, daß ihnen bis zum Abgang eine ganze Stunde Zeit blieb.
Dies war Steinbach sehr lieb. Der Rolle gemäß, die er im Todestal spielen wollte, wünschte er, seinen Trapperanzug mit einem anderen zu wechseln. Glücklicher- und ganz unerwarteterweise fand er in einem Laden ein reichgesticktes mexikanisches Habit, gerade wie für seine mächtige Gestalt gemacht, und sodann einen zweiten Anzug, der für Günther paßte.
Beide kleideten sich um, packten ihre alten Anzüge in Taschen, die sie kauften, und ritten dann nach dem Bahnhof. Kurze Zeit später ging der Zug ab, mit dem sie über Las Palmas, Los Angelos und Sumner nach Visalia gelangten.
Hier stiegen sie aus und erkundigten sich zunächst nach einem Haus, in dem sie über Nacht bleiben konnten, denn der Nachmittag war beinahe vorüber.
Visalia war ein kleines, ödes Nest und bestand aus wenigen ganz niedrigen Häusern, deren weißer Kalkanstrich in der Hitze jenes Klimas das Auge schmerzte. Nackte Kinder wälzten sich im Staub. Zerlumpte Gestalten lehnten an den Mauern. Kein Brunnen, kein grünender Baum war zu sehen. Der Ort war ja die Eisenbahnpforte zu dem berüchtigten Tal des Todes.
Leben brachten nur die zahlreichen wilden Hunde, die sich überall herumbissen, in die Staffage. Draußen, weit draußen, gegen den Horizont zu, sah man auch einzelne Kojoten, das sind Präriewölfe, über die graslose Ebene schleichen, vor Hunger zitternd. Diese Kojoten treibt der nagende Hunger gar nicht selten in das Weichbild bewohnter Ortschaften. Oder es wird so ein Tier vor Hunger, Durst und Hitze toll und kommt dann herbei, um schreckliches Unheil unter den Bewohnern anzurichten.
Die beiden Reisenden wurden in ein Haus gewiesen, mit dem sie, den hiesigen Verhältnissen angemessen, ziemlich zufrieden sein konnten.
Es hatte einen umzäunten Korral für die Pferde, eine Stube für die Menschen, ein fensterloses Loch, das Küche genannt wurde, und daran einen Garten mit dem größten Stolz des ganzen Ortes, einem fünf Fuß hohen Kirschbaum mit drei fingerdünnen Ästen, ganz ohne Blätter.
Einen Wirt gab es nicht, sondern eine Wirtin, die den beiden Gästen den verlangten Wein brachte.
Auf einem breiten Holzstuhl in der Ecke hockte zusammengekauert die Gestalt eines jungen Menschen, der still und bewegungslos vor sich hinstierte. Als die Wirtin die Blicke der beiden Gäste, die auf ihm ruhten, bemerkte, sagte sie in stolzem Ton:
„Mein jüngerer Sohn, Señores. Er hat die Gabe der Weissagung.“
„Was meint sie damit?“ fragte Günther leise Steinbach.
„Er ist blöd- oder irrsinnig.“
„Aha, eine Übertragung indianischer Anschauung!“
„Ja. Der Wahnsinnige gilt hier in diesen Gegenden beinahe als heilig. Er ist vom Geist inspiriert, und allen seinen verworrenen Reden legt man einen tieferen Sinn unter. Siehst du, mit welcher Liebe das Auge dieser Mutter an ihrem blödsinnigen Kind hängt, das gar keine Ahnung von dieser Liebe hat?“
Die Mutter merkte, daß sie von dem Irren sprachen.
„Er ruht jetzt“, sagte sie. „Später, wenn der Geist wieder über ihn kommt, könnt ihr ihm eure Fragen vorlegen, die er euch alle beantworten wird. Santa Madonna! Was ist das?“
Draußen im Ort erhob sich ein entsetzlicher Lärm. Laute Schritte laufender Menschen und angstvolle Rufe wurden hörbar. Es kam näher.
„Was mag geschehen sein?“ sagte die Frau. „Vielleicht wieder einmal ein Mord. Ein Menschenleben gilt jetzt gar nichts mehr.“
Jetzt hörte man die Rufe deutlicher:
„Flieht, flieht! Macht die Türen zu!“
„Heilige Mutter Gottes! Vielleicht gar wieder ein toller Wolf! Das wäre in diesem Sommer bereits der dritte.“
Die beiden Männer traten an das zweite Fenster. Jetzt hörten sie ganz deutlich rufen:
„Der Kojote, der tolle Kojote! Schützt euch. Schließt die Türen!“
„Wir können sicher sein“, meinte die Frau. „Meine Türe ist fest zu. Wehe dem Beklagenswerten, den der Zahn des Wütenden trifft.“
Ein guter Präriejäger ist stets das, was er sein muß. Kaum hatte Steinbach von dem tollen Wolf gehört, nahm er sein Beil aus der Scheide und schraubte die Büchse zusammen.
Von dem Fenster aus konnte man einen kleinen Platz überblicken, auf den zwei Wege von verschiedener Seite aus mündeten. Eben jetzt kam
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