0097 - Wir sprangen dem Tod ins Genick
Rock steckte sich eine Zigarette an und lehnte sich bequem in den Sessel zurück. Gedankenabwesend starrte er vor sich hin. Aus dem Durchgang zur Küche drang das Klappern von Geschirr. Rotks junge Frau — er war ganze fünf Monate verheiratet — spülte die Teller vom Abendessen.
Der junge Detektiv von der New York City Polioe nahm sich einen Bleistift und schlug eine freie Seite in seinem Notizbuch auf. Mit schnellen Strichen zeichnete er sich einen Grundriß der Gegend, die er heute nacht durchwandern wollte. Er kannte New York, er kannte vor allem Manhattan, und am besten kannte er diese Gegend zwischen der Lenox und der Achten Avenue. Hier war er geboren und auf gewachsen.
Der Rauch stieg in geschwungener Spirale zur Decke. Rock vergaß die Zigarette im Aschenbecher. Er sah die Einfahrten, die Hinterhöf e, die Kreuzungen vor sich, die er mit wenigen Strichen aufs Papier warf.
Irgendwo in diesem Gewirr ineinander verschachtelter Häuser mußte mit das Hauptquartier der Bande sein! irgendwo…
»Hast du noch zu arbeiten, Liebling?«
Die Stimme seiner Frau riß ihn aus seinen Gedanken. Er sah hoch.
May stand vor ihm, verlockend, verliebt wie immer.
Einen Augenblick lang fühlte er sich versucht, die Skizze zu vernichten, sie einfach zu zerknüllen und auf sein Vorhaben zu verzichten.
Er hätte leicht zu Haus bleiben können, denn niemand hatte diesen nächtlichen Streifengang angeordnet.
Rock war der Leiter der kleinen Kriminalabteilung des 81. Reviers. Er versah mit drei Kollegen den Dienst, und er hatte jetzt Feierabend.
Er sah von seiner Frau auf die Skizze, vom Papier wieder auf seine Frau. Noch bevor er etwas erwidern konnte, hatte May forschend hinzugefügt:
»Du hast Sorgen, nicht wahr, Rock?«
Sie setzte sich auf den Rand des Sessels und legte ihren Arm um seinen Hals. Er fühlte sich geborgen. Ein Mann muß jemand haben, bei dem er sich zu Hause fühlen kann, dachte er. May gibt mir dieses Zuhause. Sie ist eine wunderbare Ehefrau.
»Nun sag es doch, Liebling«, bettelte May »Was bedrückt dich denn?«
Er warf den Bleistift aufs Papier.
»Ich muß heute nacht noch mal raus«, sagte er abrupt. »Es wird lange dauern, vielleicht bis früh. Du solltest nicht auf mich warten Es genügt, wenn ich mir die Nacht um die Ohren schlagen muß.«
May stand erschrocken auf.
Da war ein besorgter Unterton in Rocks Stimme gewesen, der sie beunruhigte. Das war ihr fremd.
Rock gehörte zu den Optimisten, er war von Natur aus ein heiterer Mensch, der oft lachte und alles leichter nahm als die anderen. Eigentlich hatte er auch allen Grund dazu, denn was er anfaßte, gelang ihm.
»Du hast heute nacht noch Dienst?« fragte sie behutsam, denn sie wollte ihm nicht zeigen, daß sie darüber sehr enttäuscht war. Sie setzte sich ihm gegenüber in den Sessel und sah sein Gesicht an.
Es war das gutmütige, breite Gesicht ihres Rock, wie sie es liebte, seit er sie als junger Polizist in Uniform einmal vor dem College angesprochen hatte, weil sie ihren Wagen, ein uraltes, spottbilliges Modell, falsch geparkt hatte.
»No, Dienst eigentlich nicht«, sagte Rock. »Ich will dir nichts vormachen, May. Niemand zwingt mich, das zu tun, was ich heute nacht tun will. Aber getan werden muß es, und einer muß es schließlich sein, der es tut.«
»Und zwar?« fragte sie. »Um was geht es?«
»Um die Bande zwischen der 135. und 138. Straße. Ich will herausfinden, wo sie ihr Home hat. Irgendwo muß die Bande doch ihr Hauptquartier stehen haben. Die Burschen müssen sich doch irgendwo treffen!«
»Eine Bande?« fragte May erschrocken.
»Ja. Es muß eine Bande dort geben. Das ist keine bloße Vermutung, obgleich wir noch keine Beweise in der Hand haben Niemand wagt es, eine Anzeige zu machen Keiner tut den Mund auf Sie lassen sich prügeln, auspressen, terrorisieren — aber sie schweigen. Aus Angst. Aus nackter Angst.«
»Aber wenn niemand eine Anzeige…« fing May unbeholfen an.
Er schnitt ihr mit einer Handbewegung den Satz ab:
»Ein Mord bleibt auch ein Mord, wenn keiner eine Anzeige macht.«
May wurde blaß:
»Ist denn schon ein Mord geschehen?«
»Nein. Aber die Bande ist so frech, daß es in jeder Stunde dazu kommen kann. Verstehst du nicht, May? Ich will zuschlagen können, bevor es zum Letzten gekommen ist!«
»Ja, Liebling, natürlich Das verstehe ich. Ich weiß nur so wenig, so sehr wenig von deinen dienstlichen Angelegenheiten; ich fürchte, ich kann gar nicht richtig verstehen, um was es geht.«
Rock
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