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01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Chemie in den schwächsten Kursen. Erdkunde hatte ich ganz abgewählt und dafür Deutsch genommen.
    Mein neuer Klassen- und Englischlehrer war der in meinen Augen hochgebildete J. B. Stokes, Hausvorsteher vonMeadhurst, dessen besondere Spezialität, wenn ich das grammatikalisch richtig aufgedröselt habe, der imperativische Fragesatz unter Verwendung eines konditionalen Futurs war. Anders gesagt, die Aufforderung: »Ruhe jetzt« hieß bei ihm: »Willst du bitte sofort Ruhe geben?« oder: »Willst du dich bitte hinsetzen?«
    Auch wenn es noch zu früh im Jahr ist, um auf dem Weg hügelabwärts Blätter vor sich herzuschieben, schlurfen Jo und ich mit gesenkten Köpfen über das Pflaster. Als Kind lernt man jeden Riß in jedem Stein auf der gesamten Länge seines Schulwegs kennen. Schwer zu sagen, ob wir auf den Boden starren, weil wir niemanden sehen oder selbst nicht gesehen werden wollen.
    Ich weiß nicht, warum ich plötzlich aufblicke. Vielleicht, weil ich dunkel registriere, wie die Jungen gegenüber aus Redwood’s aus dem Weg vom Haus auf die Straße stoßen und eine kleine Rempelei ansteht, bevor der schwarze Strom der Schüler seine maximale Stärke erreicht hat, um dann links abzubiegen und über die Block-Schokolade und vorbei am Fliegenden Teppich geradewegs auf die Kapelle zuzusteuern, deren Glocke uns zur Morgenandacht ruft.
    Er wendet mir nicht einmal den Kopf zu, doch ich weiß es.
    Wie ist so etwas möglich? Wie kann es sein, daß allein sein Gang, seine Haltung, seine sich wegdrehende Gestalt ausreichten, es mich sofort wissen zu lassen?
    Nüchtern betrachtet läßt sich natürlich einwenden, daß sich jeder von einem prachtvollen Blondschopf, selbst wenn er ihn nur von hinten sieht, angezogen fühlt. Genauso läßt sich sagen, jeder hätte gesehen, hier ein klassisches, pfirsichzartes, unübertreffliches Paar Arschbacken vor sich zu haben.
    Und schließlich könnte man auch noch in zynischem Ton hinzufügen: »Du sagst, ›du wußtest es‹, aber angenommen, er hätte sich umgedreht und ein Schweinchengesicht mitHasenscharte, Knollennase und Schielaugen wäre zum Vorschein gekommen, würdest du jetzt dasselbe schreiben?«
    Wußte ich es denn wirklich ?
    Jawohl, lieber Leser, ich wußte es. Bei meinem Ehrenwort.
    In dem Augenblick, als ich meine Augen vom Pflaster hob und zur anderen Straßenseite sah, fiel mein Blick auf einen Jungen aus Redwood’s, der in die entgegengesetzte Richtung schaute, als wolle er sich vergewissern, daß kein Auto kam. Und genau in diesem Moment , bevor ich noch sein Gesicht sah, passierte es. Die Welt verwandelte sich.
    Wäre er häßlich gewesen, hätte es meinem Herzen vermutlich einen Stich versetzt, aber dennoch wäre die Welt eine andere gewesen, denn was da in mir rumorte und brauste, wäre nun einmal geweckt gewesen, und nichts hätte es wieder in den Schlaf versetzen können.
    Allerdings war er nicht häßlich.
    Er war das Schönste, was mir je im Leben begegnet war.
    Ich blieb so abrupt stehen, daß der Junge hinter mir geradewegs auf mich auflief.
    »Paß doch auf, Döspaddel.«
    »’tschuldigung.«
    Jo drehte sich geduldig um und warf mir einen mißmutig verkniffenen Blick zu, der sein besonderes Markenzeichen war und ihm den Spitznamen »Woodiiiiie« eingebracht hatte, auszusprechen wie das Stöhnen einer armen Sau auf dem Lokus, die sich an der Brille festkrallt und mit aller Gewalt einen Schiß von der Größe Manchesters abzuseilen versucht.
    »Was hast du denn jetzt wieder vergessen?« fragte er.
    Natürlich glaubte er, ich hätte angehalten, weil mir plötzlich eingefallen war, daß ich ein wichtiges Buch im Zimmer vergessen hatte. Die Hitze in meinen Wangen war ein untrügliches Zeichen, daß ich eine hochrote Bombe hatte. Irgendwie war ich geistesgegenwärtig genug, »Schuhbänder« zu murmeln und mich hinabzubeugen, um an meinen Schuhen zu fummeln. Wenn ich wieder hochkam, so meineÜberlegung, würde es so aussehen, als sei meine Birne vom Schuhezubinden knallrot angelaufen, eine Strategie, mit der jeder Mensch sein Erröten zu kaschieren versucht, ohne daß irgendwer drauf reinfällt.
    Dennoch war ich schnell wieder oben und begann weiterzulaufen. Ich mußte dieses Gesicht noch einmal sehen.
    Er war soeben auf die Straße getreten und blickte für einen kurzen Moment den Hügel hinauf, in unsere Richtung. Unsere Blicke begegneten sich nicht, aber ich sah, daß er noch schöner war, als ich angenommen hatte. Schöner sogar, als meine schönsten

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