01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend
vorderen Reihen saß. Ich setzte mich zwischen Jo und Richard Fawcett und überflog die Köpfe, bis ich seinen entdeckt hatte. Er saß zwischen zwei Jungen, einer mit braunen Haaren, der andere blond wie er. Beide waren größer. Trotzdem hätte ich es auch jetzt gewußt. Selbst wenn ich ihn in diesem Moment zum ersten Mal gesehen hätte, zwanzig Bankreihen vor mir und sein goldener Schopf nicht größer als eine Sixpence-Münze, ich hätte es gewußt.
Aber sein Name ? Wie konnte ich ihn in Erfahrung bringen? Und was, wenn es irgendwie der falsche Name war? Irgend so ein Allerweltsname wie Richard, Simon, Mark, Robert oder Nigel? Kaum auszudenken. Wie sollte ich einen Neil oder einen Kenneth oder einen Geoffrey ertragen? Oder, Gott bewahre, wenn er nun Stephen hieß? Ich hatte meinen Namen immer gehaßt. Später wurde ich dadurch milder gestimmt und halbwegs mit ihm ausgesöhnt, daß James Joyce seinen Helden so genannt hatte, wie auch durchStephen Tennant und Stephen Spender, aber damals hielt ich Stephen für einen bescheuerten, einfallslosen Namen, den man nur einem kleinen Jungen verpassen konnte, und obendrein noch einem ziemlichen Langweiler.
Andererseits könnte er auch einen zu eindeutigen Namen besitzen, die Sorte, bei der alle sofort kichern und einen für eine Schwuchtel halten. Also etwa Rupert oder Julius oder Crispin oder Tim, oder noch schlimmer, Miles , Giles oder Piers .
Ich überlegte, welche Namen ich durchgehen lassen konnte. Ben wäre okay, genau wie Charles, Thomas, James oder William.
Jonathan? Hm ... Jonathan ginge so gerade noch. Nathan allerdings wäre ein Tick zu weit. Mit Daniel oder Samuel könnte ich mich anfreunden, auch mit Peter, Christopher und George, nur Paul kam auf gar keinen Fall in Frage.
An Francis war erst gar nicht zu denken, und Frederick war schlichtweg zum Kotzen.
Roderick, Alexander oder Hugh könnten gehen, wenn er Schotte wäre. Donald wäre langweilig, Hamish zu extravagant und lan der reinste Horror.
David? Das würde gehen. Mit David könnte ich leben.
Doch wie das Beispiel Bertie Wooster bewies, geschahen am Taufbecken oft die haarsträubendsten Sachen, und vielleicht hatten seine Eltern sich in einem Anfall von Wahn für Hilary, Vivian oder Evelyn entschieden? Oder man mußte sich irgendeinen reichen Onkel warmhalten und hatte ihm den Namen Everett, Warwick, Hadleigh oder Poynton verpaßt?
Und dann waren da noch die Grahams, Normans und Rodneys. Unvorstellbar.
Justin, Damian und Tristram. Nein! Tausendmal nein.
Dann wieder, als die Sonne durchs Fenster fiel und sein Haar leuchten ließ, so daß alle anderen Jungen verschwanden, erschien es mir, als könne er jeden Namen verwandelnund heiligen, genau wie er seine Uniform und seine Schultasche und seinen Turnbeutel verwandelte und heiligte. Er könnte Dennis oder Terry oder Neville oder Keith heißen und würde diese Namen zu etwas Besonderem machen. Selbst Gavin könnte er noch was abgewinnen.
In derartige Überlegungen vertieft, rauschte die Messe an mir vorbei, und nachdem wir die für den ersten Schultag reservierte Schulhymne gesungen hatten –
Aufmarschiert in Reih und Glied
Sind wir von nah und fern
– wobei die ganze Schule einem plötzlichen Sprachfehler erlag und uns mit strammem Glied aufmarschieren ließ, schlurfte ich mit den anderen in vorgeschriebener Reihenfolge nach draußen, doch als ich meine Schultasche aufhob, war seine schon verschwunden und er der Gefahr von Französisch bei Finch entgegengezogen. Wann würde ich ihn wiedersehen? Wie konnte ich ihm überhaupt für mehr als ein paar flüchtige Sekunden begegnen?
Kaum jemand wird sich vorstellen können, wie schwierig es für Jungen unterschiedlichen Alters aus dem gleichen Haus war, sich irgendwo zu treffen. Und daß sich gar Freundschaften zwischen Jungen aus verschiedenen Häusern entwikkelten ... offen gesagt, er hätte genausogut auf dem Mond leben können.
Ich blickte seufzend zum West Block und Finchs Klassenzimmer, hob meine abgrundtief häßliche Schultasche auf und machte mich auf den Weg zu meiner ersten Doppelstunde Englisch.
Was Fliegen sind für übermüt’ge Knaben
Sind wir für die Götter: Sie vernichten uns zum Spaß.
Mit meiner üblichen Arroganz hatte ich die Verse absichtlich falsch wiedergegeben. Stokes war gnädig genug, mich lächelnd darauf hinzuweisen, daß ich Shakespeares Metrumgründlich verpfuscht hätte. Herablassend erwiderte ich, »Sind wir für die Götter« sei bereits ein metrischer
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