01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend
stimmte also. Er hatte irgendwas. Ich nehme an, die Art, in der er »Was machst du da?« gefragt hatte, hatte in mir ein Warnsignal ausgelöst, da ich mich genau an die Art erinnert fühlte, in der ich früher meine Mutter gefragt hätte, auch wenn ich genau sah, was sie da tat, und sie nur unterbrechen wollte, um ihr irgendein Leid zu klagen.
»Alles klar, alter Krokus?« P. G. Wodehouse infiltrierte zunehmend meine Ausdrucksweise.
»Ach, nichts weiter ...«
Sein Gesicht machte einen tiefbetrübten Eindruck. Ich habe ihn als bezaubernd beschrieben, was natürlich eine witzlose Beschreibung ist, eine leere Fläche, die jeder mit seinem eigenen Bild von Schönheit ausfüllen muß; zudem habe ich gesagt, daß er etwas kleiner als seine Altersgenossen war. Seine Statur war eine Spur, aber auch nicht mehr als das, untersetzt und von einer Robustheit, die trotz der überwältigenden Schönheit von Gesicht und Körper den Eindruck des Porzellanhaften oder einer geschlechtslosen, ätherischen Zartheit verhinderte. Sie reichte aus, Sinnlichkeit in Lüsternheit zu verwandeln, ohne aber seiner leuchtenden Grazie Abbruch zu tun. Diese unterschwellige Robustheit trat jetzt, wie ich bemerkte, noch deutlicher hervor, während er alles daransetzte, seine Traurigkeit zu verbergen.
»Wie lange dauert’s denn, bis der Kuchen aus dem Ofen kommt?« fragte ich.
»Äh, vierzig Minuten etwa. Wieso?«
»Gehen wir ein bißchen spazieren. Die ganze Tipperei ist ohnehin nicht gut für meinen Rücken.«
»Okay.«
Er wartete, während ich die getippten Blätter sortierte, die Schreibmaschine ausschaltete, die silberne Schutzhaube überzog und eine hastig gekritzelte Notiz danebenlegte: »Pfoten weg, oder ich mach dich kalt.«
Damals waren Armeeparkas der letzte Schrei. Ich hatte einen Parka der amerikanischen Luftwaffe aus dem Zweiten Weltkrieg, um den mich alle beneideten, Matthew die entsprechende Version der Royal Air Force. Außerdem hatte er, vielleicht von seinem älteren Bruder, einen alten Schulschal aufgetrieben, einen gestreiften Strickschal wie die vom Roy-of-the-Rovers-Fanclub und was ganz anderes als der kratzige schwarzrote College-Schal, mit dem ich mich begnügen mußte. Warm eingepackt in seinen Schal, sah er so göttlich und verletzlich aus, daß ich hätte schreien können.
Die Nacht war kalt, und es hatte gerade zu schneien begonnen.
»Yippieh! Sieht ganz so aus, als ob Sport morgen ausfällt«, sagte ich.
»Du haßt Sport, oder?« sagte Matthew, kleine Reifwölkchen aus dem verlockenden Geheimnis seines Munds und Rachens ausstoßend.
»Ich seh’s mir ganz gerne an, aber ›Ist dies der Mann, der seine Seele verlor? Der Dummkopf am Wicket und der schlammverspritzte Esel im Tor‹«, zitierte ich falsch. Ich hatte soeben Cuthbert Worsleys Autobiografie gelesen, die ziemlich bei mir eingeschlagen hatte.
»Dann hältst du mich also für einen schlammverspritzten Esel?«
»Das würde ich niemals sagen«, gab ich leicht überrascht zurück. »Also, ich will nicht grob erscheinen, aber ich glaube, du bist überhaupt nichts in meinen Augen.«
»Oh.«
Wir liefen schweigend weiter, während ich mir darüber klarzuwerden versuchte, worauf er hinauswollte.
»Heißt das«, platzte es plötzlich aus ihm heraus, »ich bin dir gleichgültig ?«
»Wie könntest du mir gleichgültig sein, dumme Tomate. Gewöhnlich verzichte ich auf Spaziergänge mit Leuten, die ich nicht leiden kann.«
»Obwohl ich ein Dummkopf am Wicket und ein schlammverspritzter Esel bin?«
»Ich verrat dir ein Geheimnis, Matteo! Ich hasse Sport aus dem einen Grund, und wehe, du verrätst das irgendwem, weil ich ... die absolute Niete im Sport bin.«
»Oh«, sagte er noch einmal. Und dann: »Und wieso magst du dann mich?«
»Herrgott, Osborne«, sagte ich, langsam von einer leisen Panik befallen, wohin das Gespräch zu laufen drohte. »Ich mag fast alle Menschen. Du machst einen passablen Eindruck. Du bist zuvorkommend, und vor allem lachst du über meine blöden Witze. Willst du dir bloß ein paar Komplimente abholen, oder was?«
»Nein, nein. Entschuldige. Es ist bloß ... na ja, weil jemand das zu mir gesagt hat.«
O Scheiße, da haben wir den Salat, dachte ich. Sein Bruder hat ihm vermutlich was ins Ohr geflüstert. Oder irgendein anderes eifersüchtiges Arschgesicht hat ihn heißgemacht. Die Sache war gelaufen.
»Wer hat was zu dir gesagt?« fragte ich, krampfhaft versuchend, die aufsteigende Nervosität in meiner Kehle zu
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