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01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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daß mit ihm nicht alles stimmte.
    »Du bist’s, Matteo?«
    Nur ich sagte Matteo: Es war mein ganz persönlicher Spitzname. Ich haßte das »Ozzie Zwei«, aus dem bald für die ganze Schule nur noch »Ozziter« geworden war. Die Verleihungeines persönlichen Spitznamens, selbst wenn er achtlos und fast schon abfällig vergeben wird, bedeutet ein riesiges Kompliment; einen eigenen Spitznamen zu erfinden ist eine der wichtigsten Waffen im Arsenal eines romantischen Verführers. Ich hatte herausgefunden, daß sein Mittelinitial (anders als sein Bruder hatte er nur den einen) A für Anthony lautete, sein Namenskürzel also M. A. O. war. Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, ihn nach Mao Parteivorsitzender zu nennen, aber das erschien mir zu billig. Dann kam ich darauf, daß Matt. A. O. wie die italienische Entsprechung für Matthew klang, und von da an war er für mich, und nur für mich, Matteo. Einmal schwebte ich eine Woche lang auf Wolken, nachdem ich mitbekommen hatte, wie er seinem Mitschüler Madeley-Orne gehörig den Kopf wusch, weil er ihn so genannt hatte.
    »Ich heiße nicht Matteo«, hatte er ihn angefaucht.
    »Fry hat dich auch so genannt.«
    »Schon, Fry gibt allen Leuten die verrücktesten Namen, aber das gibt dir noch lange nicht das Recht. Im übrigen heißt du bei ihm nur Schnarchtüte .«
    Der eigentliche Grund, warum ich Montag abends ins Thring-Zentrum ging, war der, daß Matthew dort montags töpferte. Es war einer der wenigen Kurse, in den ich ihm nicht gefolgt war, da ich mich im ersten Semester gründlich mit der Töpfereiabteilung überworfen hatte, nachdem ich zuerst den Motor einer Töpferscheibe ruiniert und in der darauffolgenden Woche auch noch einen Mischmühlenaufsatz zerdeppert hatte. Eine Mischmühle ist übrigens eine Art Töpferfleischwolf. Man wirft einfach sämtliche Tonreste oben in einen Trichter, drückt sie mit einem Hebel in die Maschine, und unten kommt reiner, durchgekneteter Ton raus, entweder in Form einer dicken Wurst oder aber – wenn man eine Schablone oder einen Aufsatz unten vorklemmt – in Form von lauter dünnen Würmern, die man zur Herstellung jener mit Tonkringeln verzierten Krüge, Vasen und Töpfe braucht, dienoch heute zum Entsetzen und Leidwesen der Allgemeinheit massenhaft produziert werden. Aus Angst, in der dritten Woche noch größere Schäden anzurichten, wurde ich vom Chef der Würstezapfer, wie ich die Töpferfans nannte, zur persona non grata erklärt und verbrachte also meine Montage in Matthews Nähe im Thring-Zentrum, indem ich an der Schreibmaschine saß oder mit den Rennmäusen spielte, die wie die Bewohner einer Nagetier-Metropolis von Fritz Lang durch die um das Gebäude laufenden durchsichtigen Plexiglasröhren flitzten. Das System war – wie beinahe alles in Uppingham, angefangen beim Theater ein Stück weiter die Straße aufwärts, das aus dem Gerippe der alten viktorianischen Turnhalle herauswuchs, bis zur Bestuhlung und Beleuchtung des Thring-Zentrums – ein Werk des großen Meisters Chris Richardson, der heute das Pleasance Theatre leitet, jene Einrichtung, die immer mehr die Edinburgh Festival Fringe zu dominieren scheint und mittlerweile auch einen festen Sitz in London hat. Richardson hieß, aus mir unerfindlichen Gründen, überall nur Trog – vielleicht weil sein Hogarth-Gesicht an die Zeichnungen des ›Punch‹-Karikaturisten Trog erinnerte. Er schleppte den Geruch von Pfeifentabak mit sich herum und akzeptierte meine absolute Blindheit, Inkompetenz und das Fehlen jedweden Sachverstands auf den Gebieten, die ihm praktisch mit in die Wiege gelegt worden waren, nämlich Entwurf, Planung und Konstruktion, da ich ja »zumindest mit dem Haus etwas anzufangen wußte«, auch wenn meine Vorstellung von der Nutzung dieses »kulturellen Angebots«, wie man heute sagen würde, lediglich im sinnlosen Herumhämmern auf einer Schreibmaschine bestand.
    Eben damit bin ich beschäftigt, als ich hinter mir die Stimme meines Daseinsgrunds höre.
    »Du bist’s, Matteo?« Als ob ich es nicht längst wüßte. Und in einem Tonfall gesagt, als wäre er mir mehr oder weniger egal, da ich ganz in meine Tipperei versunken war.
    »Genau ... Was machst du da?«
    »Nichts Besonderes. Ich übe. Keine Lust mehr aufs Töpfern?«
    »Ich hab gerade was im Ofen.«
    »Wartest also auf die Ofenbarung, wie?«
    »Tss!« Was Besseres fällt mir nicht ein, seine gnädige Reaktion auf mein saublödes Wortspiel wiederzugeben.
    Ich drehte mich um und sah ihn an.
    Es

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