01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend
die, daß Ronnie sah , was mit mir los war. Vielleicht standen mir die Liebesqualen, die ich durchlitt, lang und breit im Gesicht geschrieben.
Wir befinden uns inmitten des Schuljahrs. Inzwischen habe ich Matthew etwas besser kennengelernt, zum Teil, weil ich mich an Nick geklemmt habe, zum Teil aber auch durch den Stachel unerwiderter Liebe, der ein grandioser Lehrmeister in der Kunst zufälliger Begegnungen ist.
Wer liebt, stellt seinen gesamten Tagesplan auf den des Geliebten ein. Matthews Stundenplan kannte ich auswendig. Ich kannte die Orte, an denen er sich aufhielt. Ich wußte, in welchen Mannschaften er spielte – er war bereits ins Rugby-Juniorenteam berufen worden –, ich wußte, welchen Clubs und Gesellschaften er beigetreten war, und hatte mich umgehend auch dort angemeldet. Ich wußte, welche Musik er hörte, wann er im Thring-Zentrum und wann in seinem Haus anzutreffen war.
Zudem wurde er mit jedem Tag bezaubernder. Noch strebte er mit sanftem Schwung dem Höhepunkt seiner Perfektion zu, ohne je mit Akne, fettigen Haaren oder linkischenBewegungen kämpfen zu müssen. Mit jedem Tag reifte er anmutsvoll der Vollendung seiner Schönheit entgegen.
Ich war vorsichtig, mein Gott, wie war ich vorsichtig. Keine Sekunde hätte er glauben können, ich hätte auch nur das geringste Interesse an ihm, weder aufgrund unserer endlosen zufälligen Begegnungen noch durch die wundersame Übereinstimmung unserer Hobbys. Ich vermittelte ihm nie das Gefühl, unerwünscht zu sein, aber ich vermied auch jede übertriebene Begeisterung. Ich gab mich zuvorkommend und ...
unterhaltend .
Denn das Allergrößte war ...:
Er fand mich witzig
und konnte, wie Elizabeth Bennett, aus vollem Herzen lachen. Matthew war begabt. Er spielte Klavier wie ein Engel, war ein hervorragender Sportler und ein glänzender Schüler. Ich weiß nicht mehr, mit welcher Note er später Cambridge verließ, aber es mußte eine Eins oder Eins minus gewesen sein, und natürlich wurden ihm in gleich drei Sportarten Ehrenabzeichen verliehen. Seine Sprache allerdings war allenfalls Mittelmaß. Er verfügte über keine besondere Ausdrucksfähigkeit, keinen Stil, keinen Wortwitz und war wenig gewandt im Umgang mit Wörtern. Da ich in seinen Augen alle diese Eigenschaften besaß, hielt er mich für etwas Besonderes und konnte von mir pausenlos zum Lachen gebracht werden, wie ein Kätzchen, das dem Wollfaden meiner Sprachkünste hinterherjagte. Aber nie zu lange ... Gleich zu Beginn lernte ich, daß ihn ein Spiel sehr schnell langweilen konnte und er es plötzlich als Kinderkram und unter seiner Würde empfand. Oft war es so, daß, wenn ich diesen Moment kommen spürte, ich mein Scherzen mittendrin unterbrach, den Kopf schüttelte und irgendeinen düsteren Gedanken der Enttäuschung und Verbitterung über die politischen Ungerechtigkeiten und den kriminellen Stumpfsinn »dieserAnstalt«, wie die Schule insgeheim von allen genannt wurde, vom Stapel ließ.
Einmal saß ich im Thring-Zentrum und tippte einen kompletten Roman von P. G. Wodehouse auf einer der riesigen elektrischen IBM-Maschinen. Ich glaube, es war Frozen Assets . Ich machte so etwas häufiger, da ich das Gefühl genoß, vor der Maschine zu sitzen, die Lettern hochfahren und auf das Papier klatschen zu sehen und dabei gestochen scharfe Worte entstehen zu lassen; nicht weniger genoß ich den Erfolg, mit der Zeit immer sicherer und schneller zu werden, und sonnte mich geradezu in der Bewunderung, wenn andere Jungen mich umringten und ungläubig bestaunten, mit welcher Geschwindigkeit meine Finger über die Tasten flogen, ohne daß ich überhaupt hinzusehen brauchte. Die heutige Qwerz-Generation würde mich natürlich für eine absolute Schnecke halten, aber damals waren Schreibmaschinenkünste noch eine exotische und beneidete Fähigkeit.
An jenem Februarabend allerdings war ich ganz allein im Schreibmaschinen- und Gestetner-Raum und ließ meine Finger klappernd über die Tastatur gleiten.
Ich hörte ihn nicht hereinkommen, aber Sekundenbruchteile bevor er sich räusperte und zu sprechen begann, spürte ich die Anwesenheit eines anderen Menschen im Raum, eine Anwesenheit, die ich später fest als die seine erkannt zu haben glaubte, noch ehe er das erste Wort sagte.
»Was machst du da?«
Eine große Woge stieg in mir auf und brannte prickelnd auf meinen Wangen (genau wie jetzt, wo ich mich daran erinnere), als ich diese Stimme hörte. Aber da war noch etwas anderes. Ein warnender Unterton,
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