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01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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unterdrücken.
    »Ist doch egal, wer es gesagt hat. Irgendwer aus meinem Haus. Ich fegte gerade den Flur, und da ... und da kam er und hat Sachen versucht.«
    »Du meinst, er hat sich dir genähert?« sagte ich. Dir genähert? Aber welches andere Wort hätte ich denn benutzen können?
    Matthew nickte, drehte sich zur Seite, und alles brach in einem heißen, empörten Schwall aus ihm heraus: »Ich sagte,er solle mich in Ruhe lassen, und da hat er mich Nutte genannt. Jeder könne doch sehen, wie ich mich an bestimmte Pollies und Leute wie Fry ranschmeiße, mit dem ich mich ständig herumtreibe. Und dann nannte er mich noch einen hübschen Lustbengel.«
    Während ich unter seinen Worten zusammenzuckte, ging ich im Kopf bereits eine Liste möglicher Namen durch, auf die die Beschreibung eines so geilen, stumpfen und gehässigen Dreckskerls aus Redwood’s paßte, gleichzeitig fieberhaft überlegend, wie ich am besten auf sein schluchzend und jammernd vorgebrachtes Geständnis reagieren sollte: wütend, empört, mit unbeteiligtem Zynismus, väterlicher Belehrung, kameradschaftlichem Mitgefühl ... ich ging alle Möglichkeiten durch und entschied mich für eine Mischung aus allem.
    Ich schauderte, halb wegen der Kälte, halb wegen der grauenhaften Neuigkeit. »Diese Anstalt!« sagte ich. »Diese verfickte Anstalt ... dieser Laden ist ein Treibhaus, Matteo. Du wirst es nicht glauben, wo um uns herum der Schnee rieselt, aber es ist so. Wir leben unter Glas. Verzerrendem Glas. Überall nur Gerüchte, Gegen-Gerüchte, Vermutungen, Klatsch, Neid, Intrigen, Frustration und so weiter. An einem solchen Ort kann man nur überleben, wenn man normal bleibt.«
    »Normal?« Es war schwer zu sagen, ob die glänzenden Perlen an seinen Wimpern geschmolzene Schneeflocken oder Tränen waren.
    »Auf eine bestimmte Art normal. Indem man auf Freundschaft vertraut.«
    »Ja schon, aber ...«
    »Solange du einen guten Freund hast, kann nichts wirklich schiefgehen. Da ist immer jemand, mit dem du reden kannst und der dich versteht.«
    »Du meinst, wie bei dir und Woody?«
    Das meinte ich natürlich nicht. Ich meinte was ganz anderes.
    »Genau, wie bei mir und Woody«, sagte ich. »Jo kann ichalles erzählen, weil ich weiß, daß er alles im richtigen Verhältnis sieht. Das ist der ganze Trick in einer Anstalt wie dieser, alles im richtigen Verhältnis zu sehen. Wen würdest du denn als deinen besten Freund bezeichnen?«
    Er zuckte die Schultern. »Keine Ahnung«, sagte er mit leisem Schmollen. »Weißt du, die Sache ist, ich weiß es, weil mein Bruder es mir gesagt hat ...«
    »Was weißt du?«
    »Na, daß ich ... nun ja, hübsch bin.« Er spuckte das Wort aus wie eine saure Olive.
    Hübsch! Gott, wie ich dieses Wort haßte. Hübscher Junge, hübscher Junge ... nur ein grobschlächtiger, halbgescheiter Hetero konnte bei Matthew an hübsch denken. Er war wunderschön, wie die Füße des Herrn auf den Hügeln, er war überwältigend. Wie der Fluß, wie der Schnee, der jetzt immer dichter fiel, mit nichts auf dieser Erde zu vergleichen und doch so schön wie alles auf dieser Erde. Und dann hatte ein brüllender Minotaurus mit haarigem Schwanz es gewagt, ihn zu begrapschen und einen hübschen Lustbengel zu nennen. Sogar sein eigener Bruder hatte dieses Wort gebraucht.
    »Hübsch?« sagte ich, als käme mir der Gedanke zum ersten Mal. »Na ja, du bist schon eine auffällige Erscheinung, nehme ich an. Du besitzt gleichmäßige Züge, anders als ich mit meinem fetten krummen Zinken und drei Meter langen Armen. Aber hübsch würde ich nicht dazu sagen. Morgan würde ich als hübsch bezeichnen.«
    Morgan war ein Neuling aus Fircroft, auf den viele ein Auge geworfen hatten.
    »Thomas Morgan?« sagte Matthew überrascht. »Oh.« War da ein Tick von verletzter Eitelkeit herauszuhören, oder bildete ich mir das bloß ein?
    »Das heißt, wenn man auf so etwas steht«, fügte ich eilig hinzu. »Mein persönliches Credo lautet wie gesagt Freundschaft .«
    Er nickte nur stumm, und ich wagte einen Vorstoß.
    »Hör zu«, sagte ich, einen Arm um seine Schulter legend und ihn an mich drückend. »So verhalten sich Freunde normalerweise. Sie zeigen einander Zuneigung und Unterstützung in einer Welt, in der keiner ohne Zuneigung und Unterstützung auskommt. Aber hier wird man dafür als ›Schwuchtel‹ beschimpft und von den anderen runtergeputzt. Du und ich wissen, daß es Freundschaft ist, aber wenn jemand wie diese gemeine Fotze in deinem Haus den Arm um dich

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