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01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Eine Woche kein Umschluß.«
    »Wer den Mist als erstes wegmacht, bekommt zehn Minuten länger Umschluß.«
    Umschluß fand in einem großen Raum statt, in dem sich ein Fernseher, eine Dart-Scheibe und eine Tischtennisplatte befanden. Für mich sah er genauso aus wie der Aufenthaltsraum in französischen Jugendherbergen, nur ohne deren unerträglichen Gestank. An meinem zweiten Umschlußabend legte ein stämmiger Häftling seine Hand auf mein Knie und sagte, er fände mich knuffig.
    »Ey, verpiß dich, und laß ihn in Ruhe«, sagte ein Autodieb aus Bristol neben mir.
    Das war’s. Kein Gerangel und auch danach nicht die Schrecksekunde unter der Dusche, wenn einem gesagt wurde, sich zu bücken und die Seife aufzuheben. Nur ein Händedruck auf den Oberschenkel und ein schüchterner Rückzug.
    Etwas später am gleichen Abend kam jemand zu mir und sagte: »Die letzten zwei, okay!«
    »Wie bitte?« gab ich zurück.
    »Die letzten zwei für mich!«
    Ich nickte bestätigend und ging weiter. Als ich meine Zigarette fast aufgeraucht hatte, kam ein anderer Häftling und sagte: »Laß mir die Kippe, Kumpel.«
    »Kein Problem, bedien dich«, sagte ich und hielt ihm den krümeligen Stummel meiner Selbstgedrehten hin.
    »Hey!« Eine Hand klatschte auf meinen Rücken. »Du hast gesagt, die letzten zwei für mich!«
    »Tut mir echt leid«, sagte ich. »Ich hatte wirklich keinen Schimmer, was ›die letzten zwei‹ heißt.«
    Die armen Schweine, denen der Tabak ausgegangen war, mußten sich mit den Kippen der anderen begnügen, indem sie ihnen noch die winzigsten Stummel abschwatzten, bis sie sich aus Dutzenden eine neue Kippe drehen konnten oder die Enden bis auf den letzten Millimeter weiterrauchten und sich dabei Finger und Lippen verbrannten.
    Mein Akzent und meine Redegewandheit verschafften mir allgemeine Beliebtheit. Wie gehabt hatte ich mich auf hämische Bemerkungen wie »Sieh nur an! Du bist ja ein ganz vornehmer Klugscheißer« und ähnliche Sticheleien eingestellt, aber ich glaube, den Sträflingen gefiel die Verwirrung, die ich unter den Schließern auslöste, da sie offenbar keinen Satz mit mir wechseln konnten, ohne mich für einen Offiziersanwärter oder den eingeschleusten Sohn eines hohen Tieres aus dem Innenministerium zu halten, der sie ausspionieren sollte.
    »Ich möchte nicht als aufsässiger, zum Widerspruch neigender Querulant erscheinen, Sir«, konnte ich mich an einen Schließer wenden, »aber ließe sich für die Vorschrift zum Verzehr heißen Kakaos in exakt vierzig Sekunden nicht unter Umständen ein Dispens erwirken? Die dadurch verursachten Verbrühungen des empfindlichen Uvulargewebes sind überaus schmerzhaft.«
    Arm, nehme ich an, arm, eingebildet und dumm, aber in Situationen, in denen es um das reine Überleben geht, muß man sich sämtlicher zur Verfügung stehender Eigenschaften und Qualitäten bedienen. Wer Muskeln hat, benutzt seine Kraft, wer über Charisma und innere Stärke verfügt, benutzt diese, und wer Charme besitzt, benutzt seinen Charme. Das kleinste Anzeichen von Unterwürfigkeit, Anbiederung, Einschleimen, Speichellecken und Arschkriecherei ist unter Schließern wie Häftlingen gleichermaßen verhaßt. Die Schließer nehmen »vertrauliche Informationen« gerne entgegen, aber sie werden es dem Spitzel niemals danken oder ihn beschützen, wenn sein Opfer mit ihm abrechnet.
    Nur ein einziges Mal wurde ich Zeuge eines häßlichen Zwischenfalls, als ein Sechzehnjähriger, der an Stumpfsinn, Auflehnung und Dreistigkeit nicht zu überbieten war (ich hielt ihn für geistesgestört, weil er irre lachen und dermaßen toben konnte, daß es mir kalt den Rücken runterlief), nachdem er den Bogen überspannt hatte, von drei Schließern in den Waschraum neben meiner Zelle gezerrt wurde. Kurz darauf waren dumpf pochende Schläge zu hören, und ich registrierte mit Schrecken, daß man ihn fachmännisch vermöbelte. Abwechselnd kichernd und heulend kam er aus dem Waschraum. Selbst als man ihn schmerzgekrümmt den Flur entlangschleifte, versuchte er noch, nach einem der Schließer zu treten. Mit der Weigerung eines Jimmy Boyle, sich brechen zu lassen, oder der Unbeugsamkeit der Shawshank-Rebellen hatte das nichts zu tun. Das war einfach nur krank.
    Ich wollte umgehend einen Brief an den Innenministerschreiben und diskutierte darüber mit Barry, einem Waliser, der schwer auf Zack war und in der Zelle mir gegenüber saß.
    »Die durchschnüffeln hier jeden Brief. Bringt dir bloß Ärger. Und wenn du

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