01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend
um mich sorgten und mich liebten: Der dritte Tag war zweifellos der beste.
Wir alle kennen Gefängnis-Besuchsräume aus dem Fernsehen oder vom Kino. Sie können sich also den Kummer von Eltern vorstellen, die auf der einen Seite eines Glaskastens sitzen und zusehen müssen, wie ihr Sohn in Gefängnistracht hereingeführt wird. Wir gaben alle unser Bestes. Sie lächelten und nickten aufmunternd mit fest zusammengepressten Lippen. Keine vorwurfsvollen Fragen, Vorhaltungen oder Gefühlsausbrüche.
Wirklich schmerzhaft war für mich nur der Moment, als meine Mutter zum Schluß des Besuchs ein dickes Bündel Kreuzworträtsel aus ihrer Handtasche zog, die sie fein säuberlich aus den letzten Seiten der ›Times‹ ausgeschnitten hatte. Seit dem Tag meines Verschwindens hatte sie sämtliche Rätsel verwahrt, wobei die Lösungen vom Vortag mit geraden, vorsichtigen Schnitten herausgetrennt waren. Als sie mir den Stapel unter der Glasscheibe hindurchschob und ich sah, worum es sich handelte, schluckte ich laut und schloß die Augen. Ich versuchte zu lächeln und bloß nicht einzuatmen, weil ich genau wußte, im gleichen Moment von Weinkrämpfen geschüttelt zu werden, die nie wieder aufhören würden.
In jedem dieser kerzengeraden Schnitte steckte mehr Liebe, als man der gesamten Menschheit zutrauen würde.
Ich sah sie gehen und taumelte benommen auf den Gefängnisbeamten zu, der mich umdrehte und zurück in meine Zelle brachte.
Die Gefängnisbeamten, die natürlich von allen nur Schließer genannt wurden, befanden sich zu der Zeit bekleidungstechnisch in einer bemitleidenswerten Übergangsphase. Die älteren Wärter trugen noch die schwarze Uniform von Mr. McCay in Porridge und hatten vor ihrer stolzgeschwellten Brust eine glänzende Pfeifenkette baumeln, die von einem silbernenUniformknopf bis zur plissierten Brusttasche verlief, während ihre jüngeren Kollegen die Schmach eines hellblauen Anzugs erdulden mußten, der sie wie eine Mischung aus Postbote und einem Lufthansa-Steward aussehen ließ. Wobei nicht zu übersehen war, daß sie sich auch so fühlten.
Die Knast-Währung war Tabak. Ich vermute mal, heute wird allgemein mit Drogen bezahlt, aber während meiner Zeit war in Pucklechurch nie von irgendwelchen Drogen die Rede. Meine Eltern hatten mir ausreichend Geld für Zigaretten gegeben, zumindest für die ersten beiden Wochen, die ich wie in einer Art Trance mit Briefeschreiben und dem Lösen von Kreuzworträtseln verbrachte. Wie alle Nicht-Geständigen ließ man mich die meiste Zeit über in Ruhe.
Dann aber kam der Tag, an dem ich im Polizeibulli zurück nach Swindon gebracht wurde, um vor Gericht auszusagen. Der Polizeianwalt hatte beschlossen, aufgrund des dutzendfachen Scheckkartenbetrugs die Anklage auf vier exemplarische Einzelfälle zu beschränken. Eine Kopie des Anklageprotokolls ist im Bildteil des Buches abgedruckt.
Ich bekannte mich in allen vier Anklagepunkten für schuldig, im ersten Fall des Diebstahls einer Armbanduhr als Verstoß gegen Paragraph 7 des Gesetzes zum Schutz fremden Eigentums von 1968 (was die Frage aufwirft, welche Vergehen wohl unter Paragraph 1–6 abgehandelt werden?), in den drei anderen Fällen des Zahlungsbetrugs als Verstoß gegen Paragraph 15 desselben Gesetzes. Man bemerke, daß der Gerichtsschreiber in Swindon charmanterweise jedesmal »pecunairy« statt »pecuniary« schrieb.
In dem Augenblick, da ich das vierte »schuldig« gestammelt hatte, gehörte ich zu den Geständigen, dessen Schuld nicht durch das Gericht, sondern durch mich selbst festgestellt worden war, wodurch sich mein Status in Pucklechurch umgehend ändern würde.
Denn mein zweiter Auftritt in Swindon hatte durchaus noch nichts mit dem eigentlichen Prozeß zu tun. Der Richterernannte einen Bewährungshelfer, der sich mit meinem Fall, meiner Vorgeschichte und meiner Zukunft beschäftigen sollte. Der Prozeßtermin wurde noch einmal anderthalb Monate später auf den ersten November festgelegt. Da ich weiterhin die Zahlung einer Kaution strikt ablehnte, brachte man mich zurück zum Wagen, wo ich mich mit der Aussicht abfand, sieben lange Wochen als »echter Knacki« zu verbringen.
Als erstes steckte man mich in eine andersfarbige Uniform. Dann in eine andere Zelle. Auf dem Weg in den A-Trakt wurde ich jedesmal wütend angebrüllt, wenn ich zu langsam ging oder nach rechts oder links schaute, und der Wärter erklärte mir, ich könne mich verdammt noch mal darauf gefaßt machen, von jetzt an so behandelt
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