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01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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dem man für einen Penny das Gewicht eines Schafbocks bestimmen konnte, Kokosnußwerfen und Traktorfahrten für einen Sixpence.
    Wenn mein Bruder, meine Schwester und ich großes Glück hatten, war auf Dorffesten auch Harry Woodcock zugegen, der bei uns im Ort ein Uhren- und Schmuckgeschäft betrieb, in dessen Schaufenster ein Schild mit der Aufschrift hing:
    HARRY WOODCOCK
    »Der Mann, den alle kennen«
    Woodcock zog mit einer Fahrradfelge, die er auf ein Holzbrett montiert hatte, von Dorffest zu Dorffest. An der Nabe des Rads war wie der Minutenzeiger einer Uhr ein Pfeilbefestigt, der das jeweilige Gewinnfeld anzeigte. Nicky Campbell macht in etwa das gleiche im britischen Fernsehen, und in Amerika läuft Merv Griffins Original, The Wheel of Fortune , seit Jahrzehnten auf ABC. Gegen Harry Woodcock hätten diese Profis allerdings ziemlich alt ausgesehen. Er trug stets einen extravaganten Filzhut auf dem Kopf und schwadronierte ohne Punkt und Komma wie ein Marktschreier aus Cockney. Sein East-End-Bravado mit Norfolk-Akzent war schier umwerfend.
    Auf einem dieser Samstagnachmittagsfeste kam meine Schwester zu mir, als ich gerade die Zahl der Pfefferminzbonbons in einem riesigen Glas zu schätzen versuchte, das der Erzdiakon im Garten des Pfarrhauses strahlend durch die Menge trug.
    »Rate mal, wer hier ist?«
    »Du meinst ...?«
    »Genau. Der Mann, den alle kennen.«
    Und schon rannten wir los.
    »Guten Tag, junger Mann!« dröhnte Der Mann, den alle kennen, und tippte sich an den Hut, wie er es wohl tausendmal am Tag machte. »Und da ist ja auch die kleine Miss Fry.«
    »Guten Tag, Mr. Mann, den alle kennen«, antworteten wir im Chor, wobei wir uns alle Mühe geben mußten, nicht lauthals loszuprusten. Wir zahlten einen Shilling und bekamen jeder ein Gewinnlos in die Hand gedrückt. Diese bestanden aus geschliffenen Holzscheiben, auf deren Vorder- und Rückseite eine Zahl zwischen Null und Zwanzig aufgemalt war. Nach jedem Durchgang mußten die Lostafeln, begleitet von einem Antippen des Huts, zurück in den Korb geworfen werden. Der Mann, den alle kennen, hatte sich große Mühe beim Bemalen der Brettchen gegeben und jede Zahl mit kleinen Schnörkeln versehen. Ich konnte mir genau vorstellen, wie er damals – die Tafeln waren inzwischen einige Jahrzehnte alt – mit vorgestreckter Zunge, die auch beim Betrachten defekter Uhren in Erscheinung trat, laut schnaubendein Brettchen nach dem anderen ruiniert hatte, aus lauter Übereifer, sie möglichst geschmackvoll und dekorativ zu gestalten. Meine Schwester, die immer schon geschickt im Umgang mit Pinseln und Stiften war, hätte die zwanzig Zahlen in zwanzig Sekunden hingezaubert und jede zu einem kleinen Meisterwerk gemacht. Der Mann, den alle kennen, offenbarte im Hinblick auf seine Selbstachtung wie seine Lostafeln eine bedauernswerte Grobschlächtigkeit.
    Erst recht aber, was seine Art zu reden betraf.
    »Versuchen Sie Ihr Glück, meine Herrschaften. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Fortuna schlägt heute nachmittag wieder die seltsamsten Kapriolen. Diese Dame ist eine Nummer für sich, darauf können Sie wetten. Zwanzig Glückslose und zwanzig Glückszahlen, alle aus purem Gold, oder ich will nicht Raquel Welsh heißen. Ohne Einsatz keinen Gewinn, so wahr ich der Mann, den alle kennen, bin. Da haben wir ja schon den nächsten Herrn: noch zwei Mitspieler, und das Glücksrad dreht sich wieder. Machen Sie ruhig einen Shilling locker, Sir – vielleicht bringen Sie einen Preis mit nach Hause, und Ihre Frau streunt nicht mehr soviel fremden Männern hinterher. Meinen ehrerbietigsten Dank, auch wenn Sie ihn nicht verdient haben. Welch bezaubernde Dame erblicken meine staunenden Augen da? Oh, Pardon, der Herr Pfarrer, hoppla, nein, es ist tatsächlich eine junge Dame. Nur zu, mein Augenstern, ich lasse Sie nicht fort, bevor Sie mir nicht einen Shilling für ein Los oder den dicksten Schmatzer Ihres Lebens gegeben haben. Scheibenkleister, sie nimmt den Shilling. Der Kuß wäre mir lieber gewesen. Meine Damen und Herren ... Der Mann, den alle kennen, wirft das Glücksrad an. Die Welt ...« – und hier legte er theatralisch einen Finger vor den Mund – »die Welt ... hält den Atem an.«
    Prompt hielt die Welt den Atem an, und das Glücksrad wirbelte herum.
    Nun, mittlerweile hält die Welt schon lange nicht mehrden Atem an. Sie hat uns einen mächtigen Windstoß ins Gesicht geblasen und uns Hüpfburgen und zusammenklappbare Aluminiumstände beschert, an denen maschinell

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