Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
Vom Netzwerk:
schön, Liebster. Und jetzt sagst du bitte: ›Zwei Zwitscherlinge auf zwei Zwetschgenzweigen zwitscherten ihre Zwatscherzwitschereien.‹«
    Aaaaaargh! Die Katastrophe. Sosehr ich mich auch anstrengte, ich brachte nicht mehr als ein hilfloses Gestammel zustande, bis meine Stimmbänder sich verhaspelt hatten wie ein Teller Spaghetti.
    »Hör zu, Liebster, ich möchte nicht, daß du diese Sätze wie Zungenbrecher auswendig lernst. Ich möchte, daß du ein Gefühl dafür entwickelst, wie man spricht. Du sollst lernen, die Wörter einzeln auszusprechen, anstatt sie wie ein Wasserfall hervorsprudeln zu lassen. Dein Kopf ist deiner Zunge immer schon weit voraus. Ich möchte aber, daß deine Zungedie Wörter vor sich sieht wie Blumen am Wegesrand, die man nur pflücken kann, wenn man sich im Vorbeigehen nach ihnen bückt. Versuche nicht, nach einer Blume zu schnappen, die du noch gar nicht erreicht hast.«
    Ich bekringelte mich fast über die Betulichkeit ihres Vergleichs, aber irgendwie machte er mir die Sache doch klarer. Zuletzt schaffte ich sogar mit Leichtigkeit solche Zungenspalter wie »Das ist ein Scheit, ein Schleißenscheit, ein wohlgeschlissenes Schleißenscheit« oder »Zweiundzwanzig zierliche Zwerge zwicken zwei zweckige, zwackige, zappelige Zwickelkrebse«.
    Erquickende Quelle quillt quirlend empor, ging mir genauso leicht über die Lippen wie der Satz vom stromernden Strolch, der sich am Strand auf struppigem Stroh streckt.
    Aber stürmische Stiere stolpern über spitze Steine, und in meinem Fall war der Stolperstein die Geschwindigkeit.
    »Das ist kein Fünfzig-Meter-Spurt, mein Lieber. Ich möchte, daß du jede einzelne Bewegung von Zunge, Lippen und Zähnen genießt . Jede einzelne Bewegung von Zunge, Lippen und Zähnen. Was sollst du genießen?«
    »Jee-de einzelne Bewegung von Zunge, Lippen und Zähnen.«
    »Jede, mein Junge, nicht jee-de. Wir wollen schließlich nicht, daß du wie ein Ausländer klingst. Aber immerhin hast du ›Zunge, Lippen und Zähnen‹ gesagt. Vor ein paar Wochen hätte das noch wie ›Zunlipuzin‹ geklungen, nicht wahr?«
    Ich nickte.
    »Aber jetzt kennst du unser phantastisches Geheimnis. Wie großartig es ist, jede einzelne Bewegung von Zunge, Lippen und Zähnen zu hören.«
    Wir arbeiteten uns von John Masefields »Cargoes« bis Alfred Tennysons »Blow Bügle Blow« vor, und am Ende des Semesters konnten mich alle verstehen. So wie Ausländer in Abenteuergeschichten plötzlich Caramba! Zut! oder Himmel! rufen, wenn sie aufgeregt sind, konnte auch ich im Eiferdes Gefechts einen Sturzbach Stephenesisch vom Stapel lassen, aber im großen und ganzen war ich geheilt. Vor allem aber hatte sich in mir eine wundersame Wandlung vollzogen, die noch weitaus großartiger war, als bloß verstanden zu werden. Ich hatte die Schönheit der Sprache entdeckt. Mit einemmal verfügte ich über einen endlosen Vorrat neuer Spielzeuge: die Wörter. Ich konnte mich an Nonsense-Sätzen genauso berauschen wie Pu der Bär an seinem Brummen. Die Sprache wurde zu meiner Musik . Auf der Fahrt in die Ferien quälte ich meine Mutter stundenlang im Wagen, indem ich in einem fort vor mich hin plapperte: »Mein Name ist Gwendoline Bruce Snetterton. Gwendoline Bruce Snetterton. Snetterton. Snetterton. Snetterton.« Sehen wir einmal von der Geschlechterorientierung ab, die in der Wahl dieses Namens verborgen liegt, so waren dies die einzigen Lieder, die ich singen konnte. Der Wechsel von Konsonanten zu Vokalen, der hüpfende Rhythmus, die Textur , alle diese Dinge begeisterten mich. So wie sich bei anderen eine Melodie im Kopf festsetzt, setzen sich bei mir einzelne Wörter und Phrasen fest. Es kann passieren, daß ich morgens aufwache und einen Spruch wie »Unverkennbar im Geschmack« auf den Lippen habe. Ich sage ihn unter der Dusche, während ich das Kaffeewasser aufsetze und beim Öffnen der Morgenpost. Manchmal geht er mir den ganzen Tag nicht mehr aus dem Kopf.
    Ich war ziemlich sauer, als ich einige Jahre später zufällig mitbekam, daß Monty Python einen Vince Snetterton in einem ihrer Sketche auftreten ließen. Da Snetterton der Name eines Dorfes in Norfolk ist, hatte ich das Gefühl, sie hätten ihn von mir gestohlen. Von jenem Tag an war Gwendoline Bruce Snetterton gestorben.
    Schon damals betrachtete ich die Sprache nicht nur als mein einziges Mittel, um mich gegenüber dem Gebrüll der Horde, der Sportbegeisterung und denen, die schwimmen und singen konnten, zu behaupten, sie war auch meineprivate

Weitere Kostenlose Bücher