01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend
ganzen Sketch die Pointe versauen. Das Ganze würde auf eine Nummer hinauslaufen, bei der jemand ohne erkennbaren Grund die fürchterlichsten Geräusche von sich gab.
Viele Leute haben Lampenfieber: In dem Augenblick, da sie vor einem Publikum auftreten oder sprechen müssen, verkrampft sich ihre Stimme, beginnen ihre Knie zu zittern und verwandelt sich der Speichel in ihrem Mund in Alaunpuder. Bei mir ist der wunde Punkt nicht das Sprechen, sondern die Musik. Wenn ich allein bin oder unter der Dusche stehe, kann ich mich zum Klang meines Sony-Bathmaster flott einseifen. Doch sobald ich auch nur daran denke, eine Stubenfliege könne mich hören, überfällt mich ein heißer Schauder, und alles ist vorbei: Ich kriege dann nicht einmal mehr die Schläge eines Takts auf die Reihe.
An dem Donnerstag vor der Sendung kam mir plötzlich der Gedanke, ein Hypnotiseur könne mich vielleicht von meiner Verkrampfung befreien und mir zeigen, wie ich mir am Samstag vor laufenden Kameras und dem Studiopublikum einreden könne, ich sei allein und unbeobachtet.
Je mehr ich darüber nachdachte, desto logischer erschien mir die Sache. Ein Hypnotiseur könnte mich zwar nicht in Mozart oder Muddy Waters verwandeln, aber er könnte sehr wohl die psychische Blockade in meinem Kopf beseitigen, die mich zu Eis erstarren ließ, wann immer Musik und ich in der Öffentlichkeit aufeinandertrafen.
Ich ließ meine Finger ein paar Schritte durch die Luft trippeln und folgte ihnen dann bis in die Maddox Street, W1, wo ein Hypnotherapeut namens Michael Joseph eine kleine Praxis unterhielt. Mit seiner beruhigenden Art und seinem überaus vertrauenerweckenden ungarischen Akzent war ergenau der Mann, nach dem ich gesucht hatte. Der anbiedernde Discjockey-Tonfall eines Paul McKenna hätte mich sofort Reißaus nehmen lassen, aber dieser sonore, mitteleuropäische Akzent war genau das Richtige. Mehr als alles andere erinnerte er mich an meinen Großvater.
Ich erklärte ihm die Natur meines Problems.
»Ich verstehe«, sagte Mr. Joseph, während er wie Sherlock Holmes zu Beginn einer Beratung die Hände faltete. »Und worin besteht das ... wie sagten Sie gerade? ... das Stichwort, bei dem Sie mit Ihrem Gesang einsetzen müssen?«
Ich mußte ihm also erklären, daß die Worte kurz vor meinem Einsatz ausgerechnet »Verpiß dich, Schlampe« lauteten.
»Aha. Ihr Freund sagt: ›Verpiß dich, Schlampe‹, dann setzt die Musik ein, und Sie müssen singen. Richtig?«
»Richtig.«
Die Prozedur, mit der ich in eine Trance versetzt werden sollte, kam mir kinderleicht und enttäuschend banal vor. Es gab keine Taschenuhr, die vor meinen Augen hin und her pendelte, keine Sphärenmusik oder Walgesänge aus dem Hintergrund und auch keine hypnotischen Blicke, die sich in meine Seele bohrten. Ich wurde nur instruiert, die Hände auf meine Knie zu legen und darauf zu achten, wie die Handflächen mit meinen Knien verschmolzen. Schon nach kurzer Zeit konnte ich nicht mehr unterscheiden, was Hand und was Knie war, während mir aus weiter Ferne eine tiefe, sonore, ungarische Stimme einflüsterte, wie angenehm entspannt ich mich fühlte und wie bleischwer meine Augenlider wurden. Es war ein bißchen so, wie in einen Brunnenschacht hinabgelassen zu werden, wobei die Stimme des Hypnotiseurs das Seil war, an dem ich mich, ohne Angst oder Panik zu empfinden, festhalten konnte.
Nachdem ich einen Zustand erreicht hatte, den man getrost als Trance bezeichnen kann, wurde ich nach allen Erinnerungen und Gefühlen gefragt, die mit Singen zu tun hatten. Und genau da kam die Erinnerung an Kirk und dieSchmach, die mein verunglücktes Solo von »Jerusalem, du Goldne« mir eingebracht hatte, urplötzlich wieder hoch.
Das war es also! Genau das hatte mir in all den Jahren die Kehle zugeschnürt. Die Erinnerung an eine als Kind erlittene öffentliche Schmach, die mich davon überzeugt hatte, niemals wieder vor Leuten zu singen.
Die Stimme des Hypnotiseurs, die gleichzeitig ganz weit weg und unglaublich nah klang, redete mir ein, daß ich mich bei dem Stichwort »Verpiß dich, Schlampe« so entspannt und sicher fühlen würde wie daheim allein im Bad, ohne Zuhörer, ohne Lampenfieber und ohne Scham. Ich würde meine Zeilen am Samstag fröhlich, kräftig und selbstbewußt hinausschmettern, mit all dem Spaß, Gusto und Überschwang einer Horde Waliser, die auf der Rückbank eines Rugby-Mannschaftsbusses ihre Schlachtgesänge grölen. Er gebrauchte zwar nicht diesen Vergleich, aber er
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