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01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Bequemlichkeit eines Jägersitzes, auf dem er sich beim square leg niederließ und einen gelben Nikotinnebel aufsteigen ließ, der sich vom short midwicket bis hinüber zum fine leg zog.
    Jungenärschen hingegen genehmigte Mid Kemp, sofern Angus nicht im Haus war, die übelsten Stockhiebe überhaupt. Anstatt einfach draufzuhauen, war seine besondere Spezialität der Schinken-Spalter, ein senkrecht nach unten gezogener Hieb, der bedeutend weniger Anstrengung erforderte, aber um einiges schmerzhafter war als der übliche Klatscher von der Seite.
    Noch während meiner Anfangszeit in Stouts Hill wurde Angus’ Schwiergersohn A. J. Cromie neuer stellvertretender Direktor. Cromie kam vom Trinity College in Dublin und hatte einen gewaltigen Schnurrbart, der mir mehr Angst einjagte, als er selbst je geahnt haben mag. Er fuhr einen todschicken blauen Rolls-Royce, trug (zumindest in meiner Erinnerung) dornensicheren grünen irischen Tweed und unterrichtete Französisch mit einem solchen Akzent, daß es mir bei aller Unerfahrenheit wie das reinste Kauderwelsch vorkam.
    Angus prügelte mich in seiner Zeit als Direktor so manchesMal, immer mit mitleidigem Bedauern. Mid Kemp hackte bei der einen oder anderen Gelegenheit mit einer eher irren, beängstigend gelangweilten Art auf mich ein. Cromie hingegen verabreichte mir mit Abstand die meisten Schläge, da seine Amtszeit als Direktor genau mit meinem Übergang von der Kindheit zur Jugend, von bloßem Ungehorsam zu echter Durchtriebenheit zusammenfiel.
    »Großer Gott, du schon wieder«, bellte er, wenn er mich vor der Tür zu seinem Büro erblickte, wo man sich zur Verabreichung der Prügelstrafe einzufinden hatte. »Was hast du denn diesmal angestellt?«
    Haben mir die Prügel geschadet? Haben sie mir genutzt? Ich weiß darauf keine Antwort. Autres temps, autres maeurs – heute empfinde ich die Prügelstrafe als barbarisch, sadistisch, schädlich, skandalös, pervers und unverzeihlich. In meinen Augen hatte sie zumindest den Vorteil, schnell vorbei zu sein, ganz im Gegensatz zu Karzeraufenthalten, Nachsitzen oder unendlich ätzenden Putz- und Schrubbdiensten, die man für geringfügigere Vergehen aufgebrummt bekam. Oft durfte man sogar zwischen verschiedenen Strafen wählen, wobei ich mich ausnahmslos für den Rohrstock entschied.
    Nicht, daß ich irgendwelche Lust dabei empfunden hätte. Meine sexuellen Phantasien sind vermutlich nicht weniger exotisch, erschreckend und grotesk als die jedes anderen Menschen, aber Geißelung, Peitschen- oder Rutenhiebe und selbst zarteste Klapse habe ich immer nur als ganz und gar abtörnend empfunden.
    Der einzig lustvolle Moment war, nach verabreichten Prügeln schnurstracks auf die Schultoilette zu verschwinden, die Hose herunterzulassen und zur Begleitung der Klospülung einen tiefen Seufzer auszustoßen – gerade so wie Tom sich auf einen Eimer Wasser hockt, wenn Jerry ihm mal wieder den Schwanz angezündet hat. Daneben gab es noch den Stolz, die zurückbehaltenen Striemen dem Schlafsaal vorzuführen, wie preußische Junker ihre Duellnarben präsentieren.
    »Wow, der hat gesessen.«
    »Hübsches Muster.«
    »Übrigens, Fry, wenn die Haut aufplatzt und Blut fließt, kannst du ihn bei der Regierung verklagen, und er wandert in den Knast, hab ich jedenfalls gehört.«
    »Wenn er mit der Hand über Schulterhöhe ausholt, macht er sich strafbar.«
    Der eine oder andere Leser wird vielleicht denken, wer Kinder auf solche Art verprügelt, kann nur ein Schwein sein.
    Schon die bloße Vorstellung erschreckt mich, da die Männer, die mich geschlagen haben, ganz bestimmt keine Schweine waren.
    Als nächstes werden Sie vielleicht denken, Menschen wie ich, die in der Kindheit erlittene Schläge verzeihen – oder sogar behaupten, es gäbe da gar nichts zu verzeihen –, seien die Opfer einer Art »Kreislaufs des Mißbrauchs«. Vielleicht erwarten Sie von mir, ich solle wütend sein und jene Lehrer verdammen, die mich geschlagen haben, und mit ihnen meine Eltern und alle Männer und Frauen, die dies zugelassen haben.
    Vielleicht denken Sie auch, daß es nichts Pathetischeres gibt, daß nichts die Unmoral und Verirrungen des alten Englands so genau illustriert wie der Anblick eines Ehemaligen, der versucht, eben jenes System zu verteidigen, das ihn einst mit dem Rohrstock gezüchtigt hat.
    Vielleicht haben Sie recht. Vielleicht bin ich ein bedauernswertes und pathetisches Wesen. Vielleicht leide ich, ohne es zu wissen, unter den verheerenden Auswirkungen

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