Die ungewisse Reise nach Samarkand: Roman (German Edition)
Prolog
Paula hatte Hethel umgebracht. Sie
hatte es einfach nicht mehr ertragen. Sie hatte es nicht mehr mit ansehen können,
was diese einfältige Person aus Moritz gemacht hatte. Aus dem charmanten, geistreichen
Moritz. Hethel hatte aus ihm einen Langweiler gemacht, einen richtigen Spießer.
Ihn auf Taschenformat zurückgestutzt. In ihrer Gesellschaft war er eine einzige
Katastrophe.
Außerdem
hatte sie ihn zu ihrem Laufburschen degradiert. Musste er ihr doch alles, aber auch
wirklich alles abnehmen: Formulare ausfüllen, Überweisungen tätigen, Geld aus dem
Automaten lassen, ihr Auto auftanken, ihre Kleider in die Reinigung geben, ihre
Schuhe zum Schuster tragen. Er musste ihr ›Das purpurne Blatt‹ mitbringen, die Zeitschrift
für die Frau von heute. Ihr stets die neueste Rosalinde Pulcher kaufen. Sogar Tampons
musste er für sie besorgen.
Es war schon
erstaunlich, was kluge, attraktive Männer an solchen Frauen fanden. Sicher, Hethel
sah nicht übel aus, ganz und gar nicht. Im Gegenteil, Hethel war das Klischee
der betörenden Rothaarigen – wirklich, ein Traum. Langmähnig, naturgelockt, mit
Porzellangesicht und graugrünen Augen, schlank und doch an den richtigen Stellen
rund. Aber das konnte ja wohl nicht alles sein, oder? Nein. Hethel war eine jener
Frauen, die den Männern stets das Gefühl der Überlegenheit gaben. Die ihnen jeden
Tag bestätigten, wie toll sie waren. Und toll wollten sie doch alle sein, oder nicht?
Aber Hethel war nicht nur einfältig, sondern auch richtig dummdreist. Und geschwätzig.
Es war überhaupt unbegreiflich, wie Moritz dieses seichte Geplapper tagaus, tagein
ertragen konnte. Nun ja, es gab eben Männer, die glücklich waren ohne geistige Herausforderung.
Ohne weibliche, wohlgemerkt. Obwohl man das von Moritz eigentlich nicht erwartet
hätte. Oder merkte er es womöglich gar nicht?
Hethel am
Telefon beispielsweise, das war ein Alptraum. Sie redete wie ein Buch, ohne Punkt
und Komma, man konnte kaum eine Silbe dazwischen kriegen. Und was sie so von sich
gab. Gestern waren wir im Theater, stell dir vor! Mein grünes Samtkleid
hab ich angehabt, du kennst es doch, das, was mir Frau Unstrut verkauft hat.
Es würde so fantastisch zu meinen Haaren passen, hat sie gesagt. Rot-grün, das sind
doch Komplimentierfarben. Tja, sie hatte es eben mit Komplimenten, die
gute Hethel. Solches Haar hätte sie noch nie gesehen, hat sie gesagt, wirklich
nicht. Ich hab es erst letzte Woche kürzen lassen . Das Kleid natürlich,
nicht das Haar. Alle haben mich bewundert, stell dir das mal vor! Und Moritz,
der hatte die todschicke Armani-Krawatte um, weißt du, die, die ich neulich für
ihn ausgesucht habe, neulich, als wir in Hamburg waren. In dem teuren Herrengeschäft
in der Mönckebergstraße, links neben der Parfümerie . Was es gegeben hatte?
Nein, nicht in der Parfümerie – im Theater. Hm, was war das noch? Irgend so eine
Komödie . Wer gespielt hatte? Keine Ahnung . Wer inszeniert hatte? Na,
der Dingsda, du weißt schon …
Es war schon
ein Kunststück, bei dieser Dummschwätzerei einen Satz dazwischenzukriegen. Und wenn
man dann doch mal von sich selbst erzählen konnte, was wirklich selten der Fall
war, dann kamen unerbetene Ratschläge. Das solltest du dir gut überlegen.
Das ist aber gar nicht gesund, bei diesem Wetter. Zieh wenigstens gute Schuhe an
und eine wasserdichte Jacke. Und nimm vorher diese Profiklaxe-Tabletten, diese –
wie heißen sie doch gleich – Via...? Viagra? Nein, die besser nicht. Und
komm bloß nicht erst in der Dunkelheit zurück, und schon gar nicht zu Fuß,
und auf keinen Fall durch den Park. Da kann doch alles Mögliche passieren. Hast
du nicht gelesen, dass einer – so ein Dunkler soll es gewesen sein, ein Ausländer
– eine junge Frau überfallen hat und seinen Kampfhund auf sie gehetzt hat und sie
fast vergewaltigt hat? Er hat sie fast gebissen . Der Kampfhund natürlich,
nicht der Ausländer. Und das auch nur fast.
Hethel gab
einem Ratschläge, als ob man ein kleines Kind wäre. Ausgerechnet sie, die allein
nichts auf die Reihe brachte. Man könnte sie jedes Mal dafür ermorden.
Und das
hatte Paula nun auch endlich getan. Sie hatte Hethel umgebracht. Ratzfatz. Ohne
großes Federlesen. Und wie problemlos ihr das von der Hand gegangen war, und wie
befriedigend. Wirklich erstaunlich.
Paula arbeitete gerade an ihrem
ersten Roman.
Kapitel 1
Paula rannte die Treppe zum Konzertsaalhinauf. Sie war mal wieder zu spät dran. Robert würde
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