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01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Diener-Test. Jeder neue Schüler mußte sich dieser Mischung aus Initiationsritus und Eingewöhnungsprüfung in den ersten vierzehn Tagen unterziehen. Die Einweisung erfolgte durch einen Diener-Lehrer, ein Schüler im zweiten Jahr, in meinem Fall ein athletischer Typ namens Peter Pattrick.
    Bei meiner Ankunft war das Diener-System bereits drauf und dran, aus der Mode zu kommen. Privatdiener, wie sie in alten Public-School-Romanen zu finden sind, waren nahezu ausgestorben. Ein Diener war zwar immer noch Laufbursche für die Pollies, aber Dinge wie Toast zubereiten, Schuhe putzen, Zimmer säubern, Klodeckel anwärmen, sich den Kopf tätscheln, die Schenkel zu streicheln oder am Arsch herumfummeln zu lassen und andere Arten der Fron, Sklaverei und Nötigung, vor denen ich eine Heidenangst hatte, waren passé. Statt dessen hatten die Diener im wesentlichen Gemeinschaftsaufgaben zu erfüllen, nämlich zum einen den Morgen-Dienst, der im Wecken des Hauses bestand (mehr darüber später), und den unappetitlich klingenden Klo-Dienst, der aber, soweit ich mich erinnere, lediglich das Flurkehren bezeichnete und nichts mit Toiletten zu tun hatte. Der Zeitungs-Diener mußte morgens vor dem Frühstück ins Dorf, die Zeitungen für sein Haus abholen und sie auf den Zimmern verteilen. Ein weiterer Dienst bestand darin, zweimal am Tag die Postfächer der älteren Schüler zuleeren, die eingegangenen Nachrichten im Haus zu verteilen und ähnliche Botendienste zu verrichten. Ich weiß nicht mehr genau, wie dieser Dienst hieß – Postfach-Dienst vermutlich, aber man sollte sich hier nie auf irgendwelche Logik verlassen, genausogut hätte er Kätzchen-Dienst, Ballon-Dienst oder Sitten-Dienst heißen können.
    Wenn ich von »Haus« spreche, sind damit die einzelnen Internatsgebäude der Schule gemeint, in gewisser Weise Miniaturversionen eines Oxbridge-Colleges, da man in ihnen wohnte, aß und schlief und nur zum Unterricht in die Schule ging, genau wie ein Oxbridge-Student in seinem College wohnt, ißt und schläft und zu seinen Vorlesungen die einzelnen Fakultätsgebäude aufsucht. Andererseits ist unser College-System alles andere als leicht zu durchschauen, so daß es ziemlich witzlos erscheint, die Geheimnisse des einen Systems mit Hilfe eines nicht weniger chaotischen anderen Systems erklären zu wollen.
    Kurz gefaßt, Uppingham beherbergte sechshundert Schüler, die auf zwölf Häuser mit je etwa fünfzig Schülern verteilt waren. Jedes Haus hatte einen Hausvorsteher, der unmittelbar für die Disziplin, Unterweisung und Gesundheit seiner Zöglinge verantwortlich war, im buchstäblichen Sinne also der Mann in loco parentis . Zu jedem Haus gehörten außerdem eine Wirtschafterin und eine kleine Gruppe Küchenpersonal. In meinem ersten Jahr waren in meinem Haus, Fircroft, ausschließlich Frauen in der Küche angestellt, die von uns Jungen, wie ich zu meiner Schande gestehen muß, nur Topfschlampen genannt wurden. Zu unserer Verteidigung kann ich nur anführen, daß wir das Wort keineswegs böse meinten, es war eben der gebräuchliche Ausdruck, und wir kannten keinen anderen. Die Topfschlampen mußten uns Jungen bei Tisch aufwarten: Wollte man neues Wasser oder neuen Tee haben, hielt man einfach das leere Glas oder den Becher in die Höhe und winkte damit, ohne das Gespräch mit seinem Nachbarn zu unterbrechen. Wurde man nichtschnell genug bedient, rief man bloß »Wasser!« oder »Tee, bitte!« und bekam umgehend sein Glas oder seinen Becher nachgefüllt. Heute hat man natürlich alles auf Cafeteria-Betrieb umgestellt, wo man sich aus der Auslage bedient und unter tausend Sorten Kamillentee, isotonischer Power-Drinks und vegetarischer Falafel wählen kann. Ich frage mich nur, warum es in Uppingham nie zu blutigen Aufständen kam. Rotzfreche Public-School-Jungen von vorne bis hinten zu bedienen ist gewiß immer noch besser, als arbeitslos zu sein, aber es sollte mich doch wundern, wenn die größten Krakeeler nicht des öfteren einen guten Schuß Spucke in ihrem Tee oder ein paar fette Popel unter ihren Baked Beans hatten.
    Fircroft hatte einen Garten, einen Krocket-Rasen, ein paar Bäume, zwischen denen eine Hängematte gespannt war, nicht mehr benutzte Außenklos (der »Hausbalken« im Schuljargon, später der unromantische Ort meiner Defloration) und, da wir zu den am weitesten von der Schule entfernten Häusern gehörten, zwei Fives-Felder. Fives ist so eine Art Squash, bloß wird der Ball mit einem Schlaghandschuh anstatt mit

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