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01 Das Haus in der Rothschildallee

01 Das Haus in der Rothschildallee

Titel: 01 Das Haus in der Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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die Sonntagskleider ihrer Töchter waschen zu lassen. Außerdem war es höchste Zeit, Johann Isisdor klarzumachen, dass sein Stammhalter einen neuen Anzug brauchte und die Zwillinge Jacken und Schuhe.
    »Und deine Frau«, sagte Betsy, »wünscht sich einen schönen Hut, so groß wie ein Wagenrad und moosgrün, geschmückt mit Federn und Blumen. Und ein lila Kleid mit Taillenschärpe.« Wie immer, wenn sie Selbstgespräche führte, war ihr Ton ironisch. Neu war, dass sie spürte, wie sie errötete. Etwa schon wie eine Matrone, die einen Moment vergessen hat, wie alt sie ist? Seit einiger Zeit fiel Frau Betsy nämlich auf, dass das treu sorgende Familienoberhaupt trotz des Wohlstands im Hause Sternberg der allgemeinen Männermeinung war, eine Frau von achtunddreißig Jahren brauche sich nicht mehr modisch zu kleiden. »Hauptsache solide und reinlich«, hatte er tatsächlich vor zwei Wochen gesagt.
    »Nicht auf dem Parkett«, rief Betsy in Richtung Salon.
    Die Zwillinge waren dabei, einen riesigen Eisbären auf Rädern, über den nur ihre kleine Schwester zu gebieten hatte und der nur im Kinderzimmer rollen durfte, um die Möbel zu ziehen. Die fiebrige Halsentzündung, die Clara und Erwin eine Woche lang den Appetit und die Kraft der Stimme geraubt hatte, war ihnen nicht mehr anzumerken. Trotzdem hatte Doktor Meyerbeer striktes Ausgangsverbot bis zum Sonntag verhängt. Anna, das Kindermädchen, hatte ihren freien Nachmittag und konnte nicht mit der Jüngsten spazieren gehen. Weshalb Otto sich ohne Auftrag mit seinen Geschwistern abgab, als wären ihm sein Bruder und die beiden Schwestern lieb und teuer, beschäftigte seine Mutter schon seit einer Stunde, ohne dass sie eine Antwort fand.
    Wie immer, wenn der Vater verreist war, durften die Kinder im Salon spielen. An diesem ersten Frühlingstag schienen sie das seltene Privileg besonders zu genießen. Mindestens seit einer halben Stunde hatte es weder einen Streit um Besitz noch einen plötzlichen Zornesausbruch gegeben, noch nicht einmal ein lautes Wort. Die lauschende Mutter, die einer langen Friedensphase aus Erfahrung zu misstrauen pflegte, runzelte die Stirn. Sie hörte ihren Ältesten etwas sagen, unmittelbar danach die Zwillinge klatschen und »Hurra« kreischen. Die kleine Victoria krähte. Otto brummte bärentief.
    »Warte nur ab«, warnte er seine kleine Schwester, »dir wird das Lachen noch vergehen, wenn sie dir an deinem sechsten Geburtstag mit großem Getue einen Griffel in die Hand drücken und einen Ranzen umhängen.« Zum hörbaren Vergnügen des jüngsten Familienmitglieds ahmte er ein grunzendes Ferkel nach. Wieder jubelten die Zwillinge. Ihre Mutter lächelte, obgleich die Kostprobe jugendlicher Lebenserfahrung ihre Sinne schärfte.
    Mit ihrem üblichen Argwohn für Abweichungen von der Norm grübelte sie, ob Otto mit seiner unerwartet entflammten Geschwisterliebe wohl etwas im Schilde führte und, wenn ja, wen er beeindrucken wollte und weshalb. Nach fast achtzehn Monaten Eingewöhnungszeit war ihrem Ältesten das jüngste Familienmitglied noch immer nicht geheuer, und er gab sich nicht viel Mühe, seine Seelenverwandtschaft mit dem biblischen Kain zu verleugnen. Jedenfalls erschien es seiner Mutter verdächtig, dass Otto, der Meistertaktiker, nicht unmittelbar nach dem Mittagessen Verhandlungen aufgenommen hatte, um den Nachmittag außer Haus zu verbringen. Dass es ihn an einem solch prächtigen Tag nicht lockte, das Abenteuer des Lebens zu suchen, und er stattdessen seine Geschwister unterhielt und sie auch noch behandelte, als wären sie ihm willkommene Kameraden, verwirrte Betsy mehr, als dass es sie entzückte.
    »Nicht so grob, Otto«, rief sie prophylaktisch.
    »Nein«, versprach der Sohn.
    Die Märzsonne brannte die Glasfront im Wintergarten sommerheiß. Das Licht schimmerte violett. Der intime kleine Raum war vom ersten Tag an Frau Betsys Refugium und Paradies gewesen. Wenn sie in Stimmung war, die Segnungen zu bilanzieren, die ihr Leben bestimmten, vergaß sie nie den Wintergarten. Auch nun schaute sie sich um und ließ ihre Augen das Glück des eigenen Heims trinken. Die Blätter des Gummibaums, am Vortag von ihr selbst mit schwarzem Tee abgewaschen, glänzten in tiefem Grün. Die kostbare Zwergbanane, die erst seit Kurzem von deutschen Gärtnern gezüchtet wurde, hatte ein neues Blatt, dem Korallenmoos war das Umtopfen ausgezeichnet bekommen, und die Duftpelargonie roch nach Eukalyptus und machte ihrem Namen alle Ehre. In einem weißen

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