01 - Der Ring der Nibelungen
Kriemhild, außer der Liebe für ihr Kind vielleicht das erste Gefühl seit vielen Monaten. Es war Reue. Reue, Etzel nicht die Wahrheit zu sagen. Reue, einen guten Mann mit ehrlichen Absichten so zu täuschen, wie er es nicht verdiente.
Aber der Gedanke an ihr Ziel erlaubte es Kriemhild mühelos, die Reue schnell wieder zu vergessen.
Zehn Bogenschützen standen auf den Wehrgängen der Burg in Worms, die Pfeile auf den Hof gerichtet, als der Hunnenreiter durch das Portal geritten kam. Seit er die Grenze nach Burgund überschritten hatte, war er nicht aus den Augen gelassen worden. Niemand wusste, was er wollte, doch sein kleines starkes Pferd hatte ihn direkt zu Gunther geführt. Der Bote war nicht von hohem Blut, und so empfing ihn Gunther nicht im Thronsaal. Bald zwei Stunden musste er auf dem Hof warten, ohne dass ihm jemand einen Schluck Wasser bot. Erst als Hagen überzeugt war, dass in Demütigung die stolze Position Burgunds deutlich gemacht worden war, schickte er Gunther nach draußen, wo Gernot und Elsa schon seit einiger Zeit warteten.
Der König mühte sich, den dick gekleideten Gast mit den langen zotteligen Haaren gebührend anzusprechen. »Von Mundzuks Hof kommst du, so sagen meine Männer.«
Der Krieger schüttelte den Kopf. »Die Hunnen kennen keinen Hof, und ihr Führer heißt nicht mehr Mundzuk. Im Namen Etzels, der jetzt die Stämme führt, und Kriemhild, die bald seine Frau ist, geht die Einladung an Gunther von Burgund, der Hochzeit beizuwohnen, die das Hunnenreich mit Xanten und Dänemark verbindet. In Gran wird es sein, einen Monat vom heutigen Tag an.«
Atemlose Stille herrschte für einige Momente. Gunthers Kopf schmerzte, als er versuchte, die neuen Erkenntnisse zu verarbeiten und in seine Welt einzuordnen.
Mundzuk tot? Und Etzel, der von Burgund abgewiesen wurde, führte nun die größte berittene Streitmacht des Kontinents? Mit einer Burgunderin an seiner Seite?
»Eine erstaunliche Entwicklung«, flüsterte Hagen, auch wenn er hätte schreien können, denn niemand außer Gunther hörte ihn jemals.
»Niemals glaube ich, dass meine getaufte Schwester dem Heiden in sein Zelt gefolgt ist«, bellte Gunther unsicher.
»Glaubt, was Euch beliebt«, entgegnete der Bote. »Soll ich dann Eure Ablehnung als Antwort mit mir nehmen?«
»Was soll ich tun?«, knurrte Gunther, ohne die Lippen dabei zu bewegen.
»Annehmen«, riet ihm Hagen. »Doch in Vorsicht.«
»Uns freut natürlich, dass Königin Kriemhild einen neuen Mann erwählt hat, und einen König noch dazu«, rief Gunther nun, sodass es alle hören konnten. »Und gern will ich der Einladung nachkommen. Doch welche Sicherheit habe ich, dass kein übles Spiel dahinter steckt? Die Pfeile der Hunnen flogen in den letzten Wochen schon häufiger über die Grenzen Burgunds.«
Der Bote ging auf die Knie. »Im Tod wie in der Ehe sind wir Hunnen streng, und unser Wort ist unsere Pflicht. Als Gäste der Stämme werdet Ihr in Ehre empfangen und in Ehre verabschiedet. Sowohl Etzel als auch Kriemhild stehen dafür ein. Und Ihr wählt Eure Eskorte in Größe und Bewaffnung.«
Hagen lächelte verschlagen. »Es wird die Hunnen wundern, wie viele burgundische Soldaten bald aus ihren Töpfen fressen.«
Gernot, in der Hoffnung, alte Missgunst endlich beizulegen, sprach den Boten an. »Wir nehmen an und bereiten alsbald unsere Reise vor.«
Der Bote würdigte den Prinzen keines Blickes. »Die Einladung galt Gunther, und nur ihm allein.«
Gunther trat einen Schritt zurück. »Wie kann das sein? Den einen Bruder lädt die Königin ein, den anderen verschmäht sie?«
»Nicht verschmäht«, erklärte der Hunnenkrieger. »Sie sprach nur den Namen Gunthers, das ist alles.«
Der König legte seinem Bruder die Hand auf die Schulter. »Es ist anzunehmen, dass das Wort für unser ganzes Haus gilt. Natürlich wirst du an meiner Seite reisen.«
Ohne die weiteren Gespräche abzuwarten, bestieg der Bote sein Pferd und trieb es galoppierend aus dem Burgtor.
Hagen beugte sich vor und flüsterte seinem König ins Ohr: »Ein Kind, ein neuer König - vielleicht weicht Kriemhilds neues Glück ihr Herz so weit, dass familiäre Bande neu geknüpft werden können.«
Gunther nickte. »Es wäre zu hoffen. Nur wenig ist von den Königshäusern noch übrig, und Zusammenhalt scheint das Gebot der Stunde.«
»Und doch werden wir Etzels Angebot nutzen und mit Soldaten in großer Zahl ziehen. Was den Hunnen als Burgunder Pracht erscheint, wird uns gut
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