01 - Der Ring der Nibelungen
an. »Es ist Euer Recht, den Vater die Reise antreten zu lassen.«
Etzel nickte und löste sich von Kriemhilds Seite. Er ging zum Pferd, hob das Bein des Toten mit dem Nagelbrett und ließ es wieder los.
Der tote Fuß trieb die Nägel in die Seite des Pferdes, und mit einem lauten Brüllen rannte das Tier dem eigenen Schmerz davon. Seine abrupten Bewegungen pendelten Mundzuks Bein immer wieder in die frischen Wunden, und schnell jagte das Pferd auf den Horizont zu.
Die Hunnen, Frauen wie Männer, grölten zufrieden, bis der Leichnam außer Sicht war. Dann gesellte sich Etzel wieder zu seiner Königin. »Ich hoffe, der Anblick war dir nicht zuwider.«
Trotz ihrer Verwunderung schüttelte Kriemhild den Kopf. »Es ist nicht weniger barbarisch als vieles, das die Burgunder tun. Doch ich verstehe es nicht ganz.«
»Es ist der letzte Ritt des Kriegers«, erklärte Etzel. »Auf die Sonnenscheibe zu, in Richtung Heimat. Er wird reiten, bis das Pferd unter ihm tot zusammenbricht. An diesem Ort ist ihm der ewige Frieden bestimmt.«
»Willst du ebenso gewürdigt werden, wenn deine Zeit kommt?«
Er lachte. »Bereitest du dich schon darauf vor?«
»Nein«, versicherte Kriemhild schnell. »Nie wieder will ich einen Gatten sterben sehen. Diese Art der Verabschiedung scheint mir nur ... unpassend für das Leben in den Städten.«
»Ich denke, mein Vater war der letzte Hunnenkönig, der ein Grab in der Steppe gesucht hat«, bestätigte Etzel. »Ich bin begierig zu lernen, wie andere Völker ihre Toten ehren. Vielleicht findet sich ein Ritual, das die Hunnen auch in ihren neuen Städten feiern können. Doch nun ist es Zeit -meine Späher berichteten mir von einem Heer kurz vor Gran. Entweder heißt das Krieg - oder Familie.«
Als das Schiff des Königs von Burgund vor Gran ans Ufer setzte, stand sein Heer schon bereit, um ihn mit Schwert und Schild gegen jeden Angriff zu verteidigen. Tropfenförmig sich vom Fluss zur Stadt ausbreitend, hielten die Soldaten die Reihen eng, und nur widerwillig öffneten sie einen Durchgang zwischen ihren Leibern, um Etzel, Kriemhild und einigen Wachen die Begrüßung der Gäste zu erlauben.
Gunther und Gernot sprangen vom Schiff in das flache Wasser und stapften dann an Land. Hagen war direkt hinter ihnen, doch kein Wasser spritzte unter seinen Stiefeln, kein Kiesel knirschte.
Der König von Burgund war beeindruckt, dass Etzel sich mit kaum zehn Mann als Leibwache in den Pulk aus tausend burgundischen Soldaten traute und dass er ihn persönlich abholte, statt darauf zu warten, dass Gunther im Palast erschien. Es hatte sich schon herumgesprochen, dass der neue Anführer der Hunnen weit mehr von höfischer Etikette verstand als sein rauer Vater.
Kriemhilds Anblick überraschte die Brüder nicht weniger. Ihr Kleid war aus rauem Stoff, dem kargen Land mehr angepasst als das feine Tuch, in das sie bei Hofe gehüllt worden war. Ihre Haare waren streng zurückgekämmt und mit einem Lederriemen verknotet. Doch die größte Veränderung war ihr Gesicht - das Mädchen war nun endgültig verloren, und die starke Frau trug stolz ihren Rang im Blick, der nur leicht flackerte, als sie Gernot sah.
Es war Gunther, der sie zuerst umarmte. »Endlich ein Wiedersehen ohne betrüblichen Anlass.«
Sie drückte ihn, sah aber unverwandt ihren jüngeren Bruder an. »So, wie es sein soll.«
Als sie sich Gernot zuwandte, stand etwas Unsichtbares zwischen ihnen, das kaum die herzliche Berührung zuließ. »Ich hatte nicht erwartet, dass du kommen würdest.«
Der junge Prinz war enttäuscht. Lehnte Kriemhild Elsa so sehr ab, dass nun auch ihr eigen Fleisch und Blut dafür zahlen sollte?
»Ich wollte deine neue Hochzeit in Freude feiern, wie einst die erste. Und deinen Sohn - ist er nicht auch mein Neffe?«
Nun erst schien die Königin seine Gedanken zu erahnen und warf sich ihm umso heftiger in die Arme. »Ich freue mich, dir so viel Mühe wert zu sein. Bitte verzeih meine Zögerlichkeit.«
Als ihre Lippen nah bei seinem Ohr waren, flüsterte sie weiter: »Du wirst verstehen - schon bald.«
Nun trat auch Etzel vor und reichte Gunther den Arm der Krieger. »Zum zweiten Mal stehen wir uns gegenüber, zum zweiten Mal bleiben die Klingen ungezogen. Ein gutes Zeichen.«
Gunther grinste. »Und zum zweiten Mal willst du meine Schwester zur Braut. Ich bin froh, sie diesmal geben zu können.«
Nur wenig runzelte der Hunnenkönig die Stirn. »Du hast sie damals nicht verweigern können, und heute ist es nicht in
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