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01 - Der Ring der Nibelungen

01 - Der Ring der Nibelungen

Titel: 01 - Der Ring der Nibelungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einmal besaß? Ihr eine stürmische Flucht aus Burgund vorschlagen, nur um dann mit ihr in der Waldschmiede zu leben? Wie sollte sie überhaupt seinen Antrag aufnehmen? Mit Tränen, Geschrei oder gar Gelächter?
    Einen irren Moment lang dachte er daran, unverrichteter Dinge wieder nach oben zu klettern - hoffend, dass bisher niemand ihn bemerkt hatte. Es wäre sicher die vernünftigste Strategie gewesen. Aber er hatte seit dem Abend im Festsaal, an dem er Kriemhild das erste Mal gesehen hatte, keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen können. Und doch . . .
    All seine Zweifel wurden hinfällig, als zwei schlanke Arme durch den Vorhang griffen und ihn mit einem kräftigen Ruck in das Zimmer zogen. Siegfried stolperte auf das Bärenfell, das auf dem harten Steinboden lag, aber der Instinkt trieb ihn sofort wieder auf die Beine. Er konnte nichts sehen, denn nicht einmal eine Kerze spendete Licht. Sein Atem war das Einzige, was seine Sinne nährte. Und der Duft.
    Noch bevor er sich Gedanken machen konnte, was die weiche Note war, die in der Luft lag, spürte er zwei Hände, die fest seine Oberarme ergriffen, und dann Lippen, die sich auf seine pressten.
    Ein Kuss.
    Der Kuss dauerte eine Ewigkeit, und als die Ewigkeit verklang, ging er noch eine Weile weiter.
    Siegfried hatte so manche Frau im Dorf nahe der Schmiede geküsst und das Lager von einigen Mädchen geteilt. Aber dieser Kuss entfachte in ihm das Feuer der Götter. Er wollte die Gestalt in der Dunkelheit greifen, sie an sich pressen, ihren Leib in Kissen legen. Doch als er seine Arme hob, löste sich der warme Körper von dem seinen, und ein kalter Hauch fuhr zwischen sie.
    »Du hast den Preis für deinen Wagemut erhalten - nun geh«, sprach zum ersten Mal die liebliche Prinzessin Kriemhild den Schmied Siegfried direkt an.
    »Ich . . . ich . . . «, stammelte Siegfried. Er versuchte, die wilden Gefühle, die in ihm tobten, in geordneten Sätzen über die Lippen zu bringen. »Ich hatte den Eindruck, als wolltest du mir in den letzten Wochen ausweichen.«
    »So war es auch«, kam die Antwort.
    »Aber warum? Fühlst du es denn nicht auch?«
    Er machte einen Schritt nach vorne, und als könnte die Gestalt im Dunkel seinen Herzschlag spüren, glitt sie im gleichen Maße zurück. Die Stimme zitterte leicht. »Vielleicht stärker, als du zu verstehen vermagst. Und je mehr ich mich wehre, desto sinnloser wird der Kampf. Ich leide wie eine Verdurstende, die vor dem großem Meer steht. Wenn ich trinke, werde ich sterben. Ist es das, was du hören wolltest?«
    »Es ist mehr, als ich jemals zu erhoffen wagte - und doch nicht das, weswegen ich kam. Kriem . . . «
    »Ich bin nicht sie«, zischte die Stimme. »Und solange du es glaubst, werde ich es bestreiten. Die Prinzessin wird morgen ihre Verlobung mit Etzel bekannt geben. Und der Schmied wird sie vergessen.«
    Es war beklemmend und verstörend zugleich - Siegfried musste in die Dunkelheit sprechen, zu einer Frau, deren Namen nicht fallen durfte. »Aber wenn du mich liebst . . . «
    »Ich liebe Burgund«, unterbrach ihn die Prinzessin, »und diese Liebe hat im Gegensatz zu dir das Recht, Forderungen zu stellen.«
    Der Taumel, der sich durch den Kuss eingestellt hatte, verging, und Siegfried spürte eine schmerzhafte Leere in sich. »Was kann ich tun?«
    »Mich vergessen.«
    »Für die Liebe täte ich alles - nur das nicht«, sagte er fest, und seine Hände ballten sich verzweifelt zu Fäusten. »Denn ich würde ihr damit keinen Dienst erweisen.«
    »Aber dem Hofe und allen Menschen, die dir wichtig sind«, kam die Entgegnung.
    Siegfried kniete nieder. Er wusste nicht einmal, ob Kriemhild es im Dunkel des Zimmers sehen konnte. »Nichts zählt außer deiner Liebe. Schick mich weg, und ich werde gehen.«
    »Geh.«
    »Weil du mich nicht liebst.«
    Ein paar Sekunden war Stille.

    Siegfried wiederholte seine Forderung: »Sag mir, dass du mich nicht liebst - und ich bin fort, bevor die Sonnenscheibe den Horizont erklimmt.«
    »Würde ich dich nicht lieben - würde ich dann so leiden?«
    Siegfried hätte in diesem Moment den Drachen Fafnir erwürgen können, oder ein Schwert mit bloßer Hand zerbrechen, doch all seine Kraft war wertlos angesichts der Unmöglichkeit ihrer Liebe. »Gibt es denn für uns keinen Ausweg? Keine Chance?«
    »Ohne Krieg oder Verrat? Ohne Tod oder Leid?«, flüsterte Kriemhilds leise Stimme, untermalt von einem fast unhörbaren Schluchzen. »Nein. Niemals.«
    »Ich würde alles tun«, erklärte Siegfried,

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