01 - Der Ring der Nibelungen
wird es hinnehmen, wenn seinen Thronfolger im Kampf um Eure Gunst der Tod ereilt. Es ist eine schlechte Art, den Gatten zu finden - aber eine gute, um das Feuer des Krieges zu entfachen.«
Brunhilde stand auf, und in ihren Augen brannte eine kalte Flamme. »Das Festland kann beweisen, ob seine Söhne die Gunst der isländischen Königin verdienen.«
»Was aber, wenn kein Prinz die Prüfungen besteht? Wird Island dann auf ewig ohne Erben sein? Werden nach Eurem Tod blutige Schlachten um den Thron toben?«
»Ihr seht die Zukunft schwarz wie das Gefieder eines Raben«, sagte Brunhilde.
»Ich ziehe nur die Möglichkeiten in Betracht«, hielt Eolind dagegen. »Ihr seid eine außergewöhnliche Königin -und zugleich Euer bester Krieger. Es wäre ratsamer, sich einen schwachen Mann in starker Position zu erwählen, um in der Ehe die Fäden in der Hand zu behalten.«
Brunhilde legte ihrem Ratgeber die Hand auf die Schulter. »So viel Hinterlist vom edlen Eolind - Ihr seht mich überrascht«, lächelte sie. »Aber eher zerfällt Burg Isenstein zu Staub, als dass ich einen Gecken mit Wanst und schwachem Kinn an meiner Seite dulde. Wer Brunhilde erobern will - bei den Göttern, den soll seine Leistung vor allen anderen Männern als König ausweisen.«
Eolind seufzte. »Es steht zu befürchten, dass ein solcher Mann vielleicht nicht existiert.«
»Eure Sorge soll nicht sein, ob es ihn gibt - kümmert Euch wie verabredet darum, dass er von der Herausforderung erfährt.«
»So wird es geschehen«, nickte Eolind. »Zwei Schiffe bringen Boten zum Festland, die in alle Richtungen reiten werden, um an den Höfen und in den Städten davon zu künden.«
Ohne ein weiteres Wort machte sich Brunhilde wieder auf den Weg in ihr Gemach. Sie wusste, dass der Mann existierte, der ihrer würdig war. Mochte er auch kein König sein - die Prüfungen würden keinen Zweifel an seinem Anrecht lassen. Siegfried würde kommen, sich zu nehmen, was schon längst das seine war.
Die Regeln bei Hofe waren, die Mitglieder des Königshauses ausgenommen, sehr streng. Zu vielen Verboten und Bestimmungen kam in Burgund noch die strikte Einhaltung der zehn Gebote, die allem Anschein nach einiges Gewicht für die Christen hatten. Das Bett mit einer verheirateten Frau zu teilen, die nicht die eigene war, oder auch nur einen Apfel zu stehlen, war dem Vernehmen nach mit dies- und jenseitigen Strafen belegt.
Siegfried scherte sich kaum darum - seine Götter waren weniger kleinlich, und Gebote zu befolgen, die er größtenteils nicht kannte, kam ihm nicht in den Sinn. Aber er fühlte sich wohl bei Hofe, und Gunther, mochte er angesichts seines Ranges auch nie ein Freund sein können, war ein Vertrauter, den es nicht zu enttäuschen galt.
Diese Gedanken hatten Siegfried den ganzen Tag lang geplagt, bevor er schließlich doch das Seil festknotete, um sich im Dunkel der Nacht zu Kriemhilds Fenster hinabzuhangeln. Er hoffte nur, dass die Wachen, sollte Kriemhild nach ihnen rufen, nicht den Befehl hatten, Eindringlinge an Ort und Stelle zu erschlagen.
Es war nicht einmal besonders schwer - über Kriemhilds Schlafgemach lag ein Gang, dessen breite Balkone der ideale Ausgangspunkt für Siegfrieds Vorhaben waren. Das Mondlicht wurde von einer dichten Wolkenschicht verschluckt, und da abends die Burg verdunkelt wurde, gab es auch keine verräterischen Fackeln, die er meiden musste.
Mit vorsichtigen Griffen ließ er sich tiefer baumeln, die Füße immer wieder gegen die Mauer stoßend. Der Boden war in der völligen Schwärze nicht einmal zu erahnen, aber Siegfried hatte eine grobe Vorstellung, was geschehen würde, wenn er abstürzte.
Sein linkes Handgelenk schmerzte angesichts der ungewohnten Bewegung. Es erinnerte ihn für einen Herzschlag an Brunhilde und die Tatsache, dass er lange nicht mehr an sie gedacht hatte. Es war keine Wehmut in dem Gedanken - mehr schien es wie die Erinnerung an eine Speise, die man als Kind gemocht, aber seit Jahren nicht mehr gegessen hatte.
Schließlich tasteten seine Füße ins Leere und tippten dann gegen den schweren Vorhang. Er gab noch drei Ellen nach, dann hatte er einen Sims unter den Füßen, der ihm Halt gab.
Der junge Schmied kauerte sich auf die schmale Brüstung, und Kriemhilds Zimmer war nur noch eine Lage Stoff von ihm entfernt. Siegfried überlegte, wie er nun vorgehen sollte. Mit Pathos und großen Worten? Sich erklären in der Hoffnung, erhört zu werden? Der Prinzessin ein Schwert widmen, das er nicht
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