01 - Der Ring der Nibelungen
machte keine Anstalten, den Fuß wieder von der zweiten Stufe zu nehmen, wodurch sie noch kleiner wirkte als sonst. Sie ging ihm kaum bis zur Schulter.
Seltsamerweise schien Elsa jene Pein durchlebt zu haben, die er bei Kriemhild erwartet hätte - ihr schlanker Körper wirkte noch ausgezehrter, ihre fast durchsichtige Haut noch fahler, und um die Augen trug sie starke Schatten, die von durchweinten Nächten erzählten.
»Ich habe dich seit Tagen nicht mehr gesehen«, sagte Gernot, und er mühte sich, angesichts ihres Zustands kein deutliches Erschrecken zu zeigen.
»Der einzige Ort, an dem Ihr gesucht habt, war wohl das Zimmer Eurer Schwester«, flüsterte Elsa, und ihre Stimme klang brüchig.
»Sie braucht mich in dieser Zeit«, erklärte Gernot und wunderte sich, dass es wie eine Entschuldigung klang.
»Natürlich«, murmelte das Mädchen, »Ihr solltet immer dort sein, wo Ihr gebraucht werdet.«
»Und seit Vater sich entschlossen hat, mit Giselher und Gunther gegen den Drachen zu ziehen, bin ich für sie nur lästig, wenn sie ihre Pläne schmieden.«
Elsa drehte sich weg, wollte offensichtlich dem weiteren Gespräch ausweichen. Gernot hielt ihren Arm, der kaum dicker als der Griff eines Schwerts war. Sie sah ihn an, als würde in seiner Berührung ein Versprechen liegen, und was auch immer der Prinz hatte sagen wollen, es löste sich auf wie ein Tropfen Blut, der in einen See fällt. Er stotterte: »Ich . . . ich . . . muss wieder zu ...«
»Ihr«, flüsterte Elsa ergeben. »Weil Ihr dort gebraucht werdet.« Langsam ging sie davon.
»Elsa!«, rief der Prinz noch einmal, hoffend, dass er nun irgendwelche Worte finden würde.
Sie blieb noch einmal stehen. »Mein Prinz?«
Sie hatte ihn oft so angesprochen, aber heute war es, als wären die Worte ein Geschenk.
»Ich erinnere mich ... an das Versprechen einer Suppe«, sagte Gernot nun.
Tatsächlich - so etwas wie ein feines Lächeln umspielte Elsas schmale Lippen. »Seit dem Tag, an dem Ihr davon spracht, steht jeden Abend ein Topf auf dem Feuer. Wenn Euch danach sein sollte ...«
Sie ließ die Worte verklingen, um die Grenze, die ihre Welten trennte, nicht noch weiter zu überschreiten. Stattdessen lief sie davon, ohne dass ihre Schritte ein Geräusch auf dem Steinboden verursachten.
Sie war fort.
Gernot fühlte sich zu gleichen Teilen erleichtert und aufgewühlt. Der Gedanke, dass Elsa seinetwegen litt, schmerzte ihn nicht minder. Aber warum?
»Dreizehn Schwerter für dreizehn Männer«, bellte Regin böse. »Und keines mehr - hörst du?«
Siegfried schlug mit dem Hammer mehr wütend als sorgfältig auf die glühende Klinge ein, die er mit einer Zange an den Amboss drückte. »Der König . . . braucht mich!«
Jetzt lachte Regin lauthals. »Ausgerechnet dich? Siegfried, zwölf Männer hat er erwählt, an seiner Seite gegen Fafnir zu ziehen. Zwei davon sind seine Söhne, und zehn haben sich in vielen Schlachten als mutige Krieger bewährt.
Keinen Gedanken hat er an den jungen Schmied aus Odins Wald verschwendet, der nicht einmal weiß, wie ein Schwert zu halten ist!«
Vor Zorn hieb Siegfried so hart auf die Klinge, dass sie in zwei Teile zerbrach. »Ist es meine Schuld, dass du meiner Bitte nicht nachgekommen bist?«
Regin blieb hart. »Ich unterrichtete dich in dem, was du für dein Leben brauchst, nicht für deinen Tod! Du bist ein Schmied!«
Mit aller Kraft schlug Siegfried den Hammer auf den Amboss, und das Metall schrie in Funken bei jedem Wort. » Ich . . . bin . . . kein . . . Schmied! «
Er keuchte, als habe er gerade den Sieg gegen seine inneren Dämonen errungen. Er erwartete Widerworte, Wut, vielleicht sogar Hiebe von Regin, dessen Jahre der Erziehung und Lehre er gerade für nutzlos erklärt hatte.
Regin jedoch stand nur still da, als müsste er die Worte seines Ziehsohnes in sich nachklingen lassen. Als er wieder sprach, klang seine Stimme gefasst, vielleicht sogar ein wenig erleichtert. »Du bist kein Schmied, Siegfried. Wenn heute der Tag ist, an dem ich aufhören muss, dich und mich zu narren, dann soll es sein.«
»Du stimmst mir zu?«, fragte Siegfried erstaunt. Sein Zorn strauchelte schnell ins Leere.
Regin nickte. »Schon als ich dich deiner sterbenden Mutter aus den Armen nahm, war es deutlich, dass hier kein Schmied geboren worden war. Ein Wolf bleibt ein Wolf, auch wenn man ihm einredet, er sei ein Schaf. Das Trugbild schwindet, sobald er Blut riecht.«
Siegfrieds Herz schlug so stark, dass das Blut wie Wasser in
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