01 - Der Ring der Nibelungen
Herz mit der Entfernung wachsen. Und wenn Eure Brust zu bersten scheint, kommt Worms wieder in Sicht. Ihr werdet sehen.«
»Sehnst du dich denn nicht nach meiner Schwester?«, fragte Gernot.
Siegfried schien schon die Frage zu überraschen. »Sehnen? Ich brenne jede Stunde, die ich nicht bei ihr bin. Und das Wissen, dass es ihr nicht anders geht, erleichtert meine Seele nicht, im Gegenteil. Aber es hängt viel ab vom Gelingen dieser Reise, und Eurem Bruder könnte ich den Wunsch nicht verwehren.«
Missmutig warf Gernot einen Stein, der plumpsend Kreise ins Wasser malte. »Als ich Elsa erzählt habe, dass ich mit nach Island reise . . . «
Siegfried sah sich um und drückte den Arm des Prinzen, um ihn zum Schweigen zu bringen. Erst als er sich sicher wähnte, lockerte er den Griff und senkte die Stimme. »Ich denke, es wäre vorerst klug, den Namen Eurer Auserwählten nicht zu laut auszusprechen. Nach der Hochzeit, wenn zwei bedeutende Häuser Kindersegen versprechen, wird mehr Großmut herrschen, eine Liebe wie die Eure zu respektieren.«
Gernot nickte dankbar. »Du hast wohl Recht, und es tut gut, jemanden auf meiner Seite zu wissen.«
Innerlich war dem Prinzen übel bei dem Gedanken, dass er Siegfrieds Nähe nicht uneigennützig suchte. »Als ich ihr sagte, dass ich Gunther nach Island begleite, sperrte sie sich in ihr Zimmer, und zwölf Stunden lang hörte ich sie schluchzen.«
Siegfrieds starke Hand legte sich auf seine Schulter. »Als Kind des Mannes, den sie Vater nennt, ist sie Tränen sicherlich gewohnt. Aber sie wird dir verzeihen, wenn du wieder durch das Burgtor reitest.«
So, wie Odins Wald Siegfrieds Vergangenheit beschworen hatte, so erzwang die Reise an Xanten vorbei den Blick in die Zukunft. Die Burgunder hatten sich entschieden, nicht einmal den Verwaltern des Landes Kunde von der Durchfahrt der königlichen Gesandtschaft zu geben. Xanten und Dänemark ruhten noch in kopfloser Verwirrung, aus der ohne Herrscher leicht Aufruhr und Blutvergießen erwachen konnten. In Siegfried den zukünftigen König zu sehen, wie er als Vasall eines anderen Hauses vorbeizog, war den Xantenern kaum zuzumuten.
Siegfried war überrascht, wie viel es ihm ausmachte, Stadt und Burg nur aus der Ferne zu sehen und vom Volke nur die Bauern, die den Reisenden von ihren Feldern freundlich winkten. Er hatte bisher kaum die Zeit gehabt, sich über das Reich, über das er bald herrschen würde, Gedanken zu machen. Seine Seele, sein Herz und auch seine Aufmerksamkeit hatten immer den Bedürfnissen Burgunds gegolten. Aber nun, da Xanten wie ein schlafendes Paradies an ihm vorbeizog, rief es nach ihm, forderte den König an die Macht. Die zwei Tage, die der Rhein zwischen den Grenzen des Reiches floss, verbrachte Siegfried daher nicht weniger in Schwermut versunken als Gernot. Er begriff langsam, dass mit dem wundersamen Lohn für seinen Heldenmut die Unrast kam und die Verantwortung. Mit einem starken Arm war die Bevölkerung nicht zu ernähren, und kein Schwert konnte Krankheiten bannen. Nur der Gedanke, dass Kriemhild für diese Aufgaben erzogen war, gab ihm ein wenig Ruhe.
Sie würde eine gute Königin sein.
Alle Burgunder waren froh, dass die Reise friedlich zu verlaufen schien, und Gunther nahm es gar als gutes Omen. Jeden Morgen betete er mit Gernot für den Schutz der Schiffe, während Hagen und Siegfried, zumindest im Glauben Brüder, sich respektvoll im Hintergrund hielten.
Xanten ließen sie bald hinter sich, und als das Süßwasser des Rheins in das Salzwasser der Nordsee spülte, zogen sie die Segel auf und setzten Kurs nach Norden, Richtung Island. Den Schiffen war noch in Worms schweres Eisen in den Bauch genagelt worden, um auch in stürmischer See aufrecht im Wind zu stehen. Waren an der Küste dann und wann die Handelsschiffe anderer Reiche in Sicht gekommen, so schien die Welt nach kaum einer Tagesreise nur aus Wasser zu bestehen. Zweimal waren Inseln zu sehen, weit am Horizont, aber Gunther ließ sie ziehen.
Die Männer aßen gedörrtes Fleisch, ein wenig Obst und Brot, bis es verdorben war und über Bord geworfen wurde. Man sang ein paar alte Weisen, spielte die Kerbensteine um das Glück und zog Karten zu Rate, die den Weg zu zeigen versprachen. Eine gewisse Trägheit machte sich breit, als wollte das Schicksal den Männern Zeit zur Erholung geben, um sich auf das Abenteuer vorzubereiten.
Die geruhsame Reise nahm ein Ende, als nach einer Woche auf See am Horizont ein schwarzer Streifen
Weitere Kostenlose Bücher