01 - Die verbotene Oase - Mein neues Leben im Harem der Frauen
nächsten Morgen erwartete sie mich in der kleinen Küche, das Baby auf dem Rücken. Es ging alles ohne viele Worte vonstatten: Ich zeigte ihr, wie die Zutaten gerieben, gestampft und gekocht werden mussten, und am Abend hatte sie heraus, wie es ging. Ich glaubte es selbst kaum; Tanisha schien nur darauf gewartet zu haben, genau diese Aufgaben zu verrichten. Die Arbeit der Heilerin unterliegt ein paar Regeln. Zum Beispiel wird nicht gesprochen, wenn Pflanzen gesammelt oder zu Medizin verarbeitet werden. Der Grund dafür ist die notwendige Konzentration auf das Wesentliche. Obwohl ich es ihr nie gesagt hatte, beherzigte Tanisha all das.
Wollte ich einen Handgriff tun, so war sie mir bereits zuvorgekommen.
Manchmal hatte ich den Eindruck, mich selbst verdoppelt zu haben.
Es war also an der Zeit, dass ich jenen Menschen, den ich stillschweigend anzulernen begonnen hatte, näher kennen lernte. Eine Person, von der ich vor allem wusste, dass ihre Mitmenschen sie unmenschlich misshandeln wollten.
Wir alle hatten Tanisha jedoch inzwischen als jemanden schätzen gelernt, dem das Helfen so offensichtlich im Blut lag, dass allein der Gedanke absurd war, sie habe wirklich „gesündigt“.
„Magst du mir erzählen, was geschehen ist, bevor du zu uns gekommen bist?“
Um sie nicht bloßzustellen, waren Ada, Bisi, Efe und ich damals übereingekommen, mit niemandem über Tanishas Fieberanfälle zu reden und sie selbst auch nicht direkt darauf anzusprechen. Was ich nun, am Vortag von Amaras Ankunft, zu hören bekam, bewies mir, dass wir richtig gehandelt hatten.
Tanisha stammte wie auch ihr Bruder aus Kaduna, wo der Vater ein Baugeschäft besaß. Sie liebte Ali, der bei ihrem Vater arbeitete. Ali schien dem Vater jedoch kein angemessener Ehemann zu sein. Sie war 15, als er sie mit einem seiner Freunde, der in Kano lebte, verheiratete. Sie lernte den wesentlich älteren Mann erst am Tag ihrer Hochzeit kennen, als sie die vierte Frau des strengen Muslim wurde. Mit 16 gebar sie ihr erstes Kind, einen Sohn. Sie umschrieb die Geburt und die Folgen als sehr schmerzhaft. Da ich selbst sie später entbunden hatte, wusste ich, was sie meinte. Sie war wieder zugenäht worden.
„Ich hatte Angst, erneut schwanger zu werden“, sagte Tanisha. „Darum richtete ich es so ein, dass mein Mann sich mir nicht nähern konnte.
Schließlich ließ er sich scheiden.“
Die junge Mutter musste ihren Sohn bei ihrem Mann zurücklassen; als 19-Jährige kehrte sie in ihr Elternhaus nördlich von Kaduna zurück.
Bis zu diesem Punkt war Tanishas Geschichte nicht ungewöhnlich. Auch was danach geschah, verwunderte kaum. Sie traf Ali wieder. Der Vater reagierte, wie wohl so mancher handelt, dem die Tochter einen Strich durch die elterliche Planung gemacht hat - er feuerte Ali und verbot Tanisha den Umgang mit ihm.
Die beiden trafen sich heimlich und irgendwann wurde sie schwanger.
„Davor hattest du doch Angst“, wendete ich ein.
Tanisha schlug die Augen nieder. „Mein Plan war sehr dumm“, gestand sie.
„Ich wollte nicht mehr bei meinen Eltern leben, die mich bevormundeten. Ich wollte, dass Ali mich heiratete.“ Aber es gab noch einen anderen Grund. Sie vermisste ihren kleinen Sohn. Ein zweites Kind sollte sie über den Verlust hinwegtrösten.
Nachdem die Schwangerschaft sich kaum mehr verbergen ließ, gestand Tanisha ihrem Vater alles. Von diesem Zeitpunkt an wurde ihr Leben zur Hölle.
Wenige Monate zuvor war in Kaduna das islamische Recht, die Scharia, eingeführt worden. Ihr Vater zeigte seine Tochter an, weil sie außerehelichen Ge-schlechtsverkehr gehabt hatte. Die Strafe wurde schnell verkündet: 180
Schläge mit einem Zuckerrohrstock, die nach der Geburt des Babys auf sie niedergehen sollten.
„Was hat dein Ali denn dazu gesagt?“, fragte ich erregt.
„Er hat mich im Stich gelassen; er war einfach nicht mehr auffindbar. Ich habe nie wieder mit ihm gesprochen. Er hatte wohl Angst, selbst bestraft zu werden“, antwortete sie.
„So ein Feigling!“, ärgerte ich mich. „Er hätte dich doch mitnehmen können.“
Tanisha hob ratlos die Schultern; was sollte sie auch sagen? Sie hatte sich ganz offensichtlich in den falschen Mann verliebt.
Ich war zu höflich, um Tanishas Religion, in der sie erzogen worden war, offen zu kritisieren. Dennoch dachte ich, dass 180 Stockhiebe ein wahrhaft seltsamer Ausdruck von Rechtsprechung seien. Und das auch noch im Namen Gottes?
Oder befohlen von Männern, die sich anmaßten, Gottes
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