Fuer immer nicht hier
1 Abschied
Regen, Eis, Gewitter? Nein, es war ein sonniger Frühlingstag in Deutschland, der Florian aus dem Leben riss. Er hatte schon immer einen Hang für Motorräder gehabt. Überrascht von einem Auto machte er eine falsche Bewegung und verwirkte sein Dasein im Bruchteil einer Sekunde. Dieser dramatische Verlust stellte Nadias Leben auf den Kopf. Sie würde nie wieder dieselbe sein.
Das erste Mal waren sie sich im Alter von drei Jahren im Sandkasten begegnet. Als sich ihre Blicke trafen, umarmten sie sich, als stammten sie aus dem gleichen Mutterleib. Seit jenem Tag waren sie unzertrennlich gewesen. Sie waren zusammen in den Kindergarten gegangen, zur Schule, und später zur Universität. All ihre Freunde hatten die beiden immer gerne um sich gehabt. Für sie waren sie das potenzielle Traumpaar. Aus diesem oder jenem Grund war es zwischen ihnen nie zu einer romantischen Beziehung gekommen.
Nadia und Florian hatten viel mehr als das... Sie waren immer da für einander. Sie konnten sich ohne Worte unterhalten, sich nachts um drei anrufen, und zusammen in einem Bett schlafen, ohne miteinander intim zu werden. Er war ihr bester Freund, ihr Bruder und ihr Beschützer, alles in einem.
Sie umarmte seinen kalten Körper in der Leichenhalle und brach unter Tränen zusammen.
„Florian, ich liebe dich so sehr.“
Sie konnte nicht glauben, dass es vorbei sein sollte, dass ihr Florian seine Augen nie wieder öffnen würde. Ihr Weinen nahm kein Ende.
Nadias Eltern liebten Florian wie ihren eigenen Sohn und waren zutiefst erschüttert über seinen frühen Tod im Alter von nur zweiundzwanzig Jahren. Obgleich sie im Bilde über die enge Verbindung zwischen ihm und ihrer Tochter waren, schockierte sie Nadias heftiger Zusammenbruch.
Sein Tod fühlte sich für Nadia wie eine Amputation an. Ein großer Teil ihres Selbst war mit ihm auf diese andere Seite gewechselt.
Mit Mühe absolvierte sie das letzte halbe Jahr ihres Studiums.
Es war schrecklich, die Uni ohne ihn zu besuchen. Sie waren immer gemeinsam zu den Vorlesungen gefahren. Der Drang, ihre Heimat zu verlassen und nach Australien zu reisen, wuchs langsam in ihr heran. Sie versuchte vor dem großen Loch davonzurennen, welches Florians Ableben hinterlassen hatte. Sein Ende hatte ihr aufgezeigt, dass alles viel zu schnell vorbei sein kann und dass man besser macht, was man machen möchte, solange man kann. Kein Grund zu warten, kein Grund etwas aufzuschieben. Betriebswirtschaft hatte sie nur aus rationalen Gründen studiert, unter der Annahme, sich hierdurch ein solides Fundament zu schaffen. Ihr Herzenswunsch war es jedoch immer gewesen, als Schriftstellerin tätig zu sein. Sie liebte den Fluss der Worte, der aus mysteriösen Quellen zu strömen schien.
In Sydney mietete Nadia eine kleine, süße Wohnung am Hafen an. Eines Nachts wachte sie aufrecht im Bett sitzend auf, zutiefst mitgenommen von einem Traum; ihrem ersten intensiven Traum - der erste von vielen… Es war das allererste Mal, dass sie sich nach dem Aufwachen an einen Traum erinnern konnte. Jeder Mensch träumt jede Nacht, doch meistens ist es uns nicht vergönnt, uns an den Inhalt zu erinnern.
Ein großer goldener Adler stand in besagtem Traum mit weit ausgebreiteten Schwingen vor ihr und starrte sie an. Sie war so viel kleiner als er. Sie konnte jede einzelne Feder erkennen und wusste nicht, ob er sie umarmen oder erdrücken wollte. Sie hatte Angst.
In jener Nacht schlief sie nicht wieder ein. Obwohl sie keine Ahnung davon hatte, dass der Adler ein Symbol ihrer Seele war, war sie von seiner Stärke beeindruckt und fing an, ihren ersten Roman zu schreiben. „ Wenn nicht jetzt – wann dann?“
Als ein Jahr in Australien vorübergezogen war, in welchem sie in einem Luxushotel als rechte Hand des Geschäftsführers gearbeitet hatte, kehrte sie nach Deutschland zurück. Sie versuchte, wieder die Alte zu werden und an ihrem Studium anzuknüpfen. Sie angelte sich einen sehr guten Job und fasste Fuß in einer renommierten Unternehmensberatung, bis eines Tages das starke Gefühl in ihr aufkam, diesen Pfad wieder zu verlassen. Auch wenn sie in ihrer Tätigkeit gut war, erfüllte sie diese Aufgabe einfach nicht. Die meisten Tage fühlte sie sich wie lebendig begraben.
Ohne zu wissen, wohin sie ihr Leben führen würde, spürte sie, dass sie ihre Anstellung kündigen musste. Ihr Chef wollte sie nicht gehen lassen, da er sie sehr schätzte, doch sie stand zu ihrer Entscheidung und verließ die Firma.
2 Die
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