01 - Gnadenlos
völlig am Ende, und wenn Sie nicht einen wirklich guten Grund haben, aufzubleiben, empfehle ich Ihnen, sich eine Koje zu suchen und sich aufs Ohr zu legen, Sir.«
Der Zivilist sah mit müdem Lächeln auf, um seine früheren Worte wiedergutzumachen. »Oreza, so schlau wie Sie sind, sollten Sie Offizier sein.«
»Wenn ich so schlau bin, wie kommt es dann, daß wir unseren Freund letzte Nacht verpaßt haben?«
»Und der Kerl, den wir in der Dämmerung gesehen haben?«
»Kelly? Ehemaliger Chief der Marine, verläßlicher Bursche.«
»Ein bißchen jung für einen Chief, nicht?« fragte English, der ein nicht besonders gutes Foto betrachtete, das im Licht des Scheinwerfers aufgenommen worden war. Er war neu auf der Station.
»Das kam zusammen mit einem Ehrenkreuz der Marine«, erklärte Oreza.
Der Zivilist blickte auf. »Sie meinen also nicht... «
»Nie im Leben eine Chance.«
Der Zivilist schüttelte den Kopf. Er zögerte einen Augenblick, dann machte er sich auf den Weg zu den Kojen. Sie würden vor Sonnenuntergang wieder rausfahren, und er brauchte die Ruhepause.
»Also wie war's?« fragte English, als der Mann das Zimmer verlassen hatte.
»Dieser Bursche hat 'ne Menge Zeug am Hals, Captain.« Als Stationskommandant war English zu diesem Titel berechtigt, noch dazu, weil er Portagee sein Boot ganz auf seine Art befehligen ließ. »Der schläft todsicher nicht viel.«
»Er wird eine Weile bei uns sein, hin und wieder, und ich möchte, daß Sie das in die Hand nehmen.«
Oreza tippte mit einem Bleistift auf die Karte. »Ich bleibe dabei, das wäre ein ausgezeichneter Beobachtungsposten, und ich weiß, daß wir dem Burschen vertrauen können.«
»Der Mann sagt nein.«
»Der Mann ist kein Seemann, Mr. English. Mir macht's nichts aus, wenn der Bursche mir sagt, was ich tun soll, aber er weiß nicht genug, daß er mir sagen kann, wie ich's machen soll.« Oreza umkringelte den Punkt auf der Karte.
»Das gefällt mir nicht.«
»Ist auch gar nicht nötig«, sagte der größere Mann. Er klappte sein Taschenmesser aus und schlitzte das dicke Papier auf. Zum Vorschein kam eine Plastiktüte mit weißem Pulver. »Ein paar Stunden Arbeit bringen uns dreihunderttausend. Ist da dran was faul, oder hab ich was nicht mitgekriegt?«
»Und das ist erst der Anfang«, sagte der dritte Mann. »Was machen wir mit dem Boot?« fragte der Mann mit den Skrupeln. Der Große sah von seiner Arbeit auf. »Bist du das Segel losgeworden?«
»Ja.«
»Na ja, wir können das Boot verstecken... aber es ist vielleicht schlauer, es zu versenken. Ja, das werden wir machen.« »Und Angelo?« Alle drei sahen dorthin, wo der Mann lag.
Er war noch bewußtlos und blutete.
»Schätze, den versenken wir auch«, bemerkte der Große ohne große Gefühlsregung. »Genau hier wär's gut.«
»Vielleicht zwei Wochen, dann wird nichts mehr von ihm übrig sein. Ein Haufen Biester hier draußen« Der dritte zeigte auf die marschige Gezeitenzone.
»Seht ihr, wie einfach es ist? Kein Boot, kein Angelo, kein Risiko; und dreihunderttausend Mäuse. Also, was erwartest du noch, Eddie?«
»Seine Freunde werden es trotzdem nicht toll finden.«
Der Kommentar erfolgte mehr aus einer Oppositionshaltung heraus als aus moralischer Überzeugung.
»Was für Freunde?« fragte Tony, ohne aufzublicken. »Er hat uns doch verpfiffen. Wie viele Freunde hat so eine miese Ratte?«
Eddie beugte sich der Logik der Situation und ging zu dem bewußtlosen Angelo hinüber. Aus den vielen Abschürfungen rann noch immer Blut, und die Brust bewegte sich langsam, da er kaum zu Atem kam. Es war Zeit, dem ein Ende zu machen. Eddie war es schon klar, er hatte nur versucht, das Unvermeidliche hinauszuschieben. Er zog eine kleine 22er Automatik aus der Tasche, setzte sie an Angelos Hinterkopf und drückte einmal ab. Der Körper zuckte, dann erschlaffte er. Eddie legte die Pistole beiseite und zog die Leiche nach draußen. Die wichtigen Arbeiten überließ er Henry und seinem Freund. Sie hatten ein Angelnetz mitgebracht, das er um die Leiche wickelte, bevor er sie vom Heck ihres kleinen Motorboots ins Wasser gleiten ließ. Vorsorglich sah Eddie sich um, aber hier bestand keine große Gefahr, daß sich irgendwelche Eindringlinge blicken lassen würden.
Er dampfte davon, bis er eine günstige Stelle ein paar hundert Meter weiter fand, stoppte dann die Fahrt und hob ein paar Zementblöcke aus dem treibenden Boot, die er an das Netz band. Sechs reichten aus, um
Weitere Kostenlose Bücher