01 - Gnadenlos
Streß-Syndrom zum Opfer fallen, weil sie sich alle für Raubtiere hielten, nicht für die Beute, und Löwen kennen solche Gefühle nicht.
Aber sie waren auch Männer. Mehr als die Hälfte hatte Frau und / oder Kinder, die erwarteten, daß Daddy ab und zu heimkehrte; die übrigen hatten Bräute und freuten sich darauf, in unbestimmter Zukunft ein häusliches Leben zu führen. Alle hatten eine dreizehnmonatige Dienstzeit abgeleistet. Viele hatten auch zwei hinter sich, eine Handvoll sogar drei, und aus dieser letzten Gruppe würde sich keiner freiwillig melden. Einige, eventuell sogar die meisten, hätten sich vielleicht trotzdem gemeldet, wenn sie gewußt hätten, worum es bei diesem Unternehmen ging, weil sie ein ungewöhnlich starkes Pflichtgefühl besaßen. Aber das kann sich auf unterschiedliche Weise äußern. Diese Männer waren jedenfalls der Meinung, sie hätten so viel, wie ein Mann nur tun konnte, für diesen Krieg geleistet. Nun sahen sie ihre Aufgabe darin, die Jüngeren auszubilden, das Wissen weiterzugeben, das es ihnen ermöglicht hatte, wieder zurückzukommen, während andere, obwohl sie fast so gut gewesen waren wie sie, es nicht mehr geschafft hatten. Das war nun ihre Pflicht gegenüber dem Marinekorps, dachten sie alle, als sie still auf ihren Stühlen saßen und zum Oberst auf dem Podest hinauf blickten. Dabei fragten sie sich voller Neugier, was »es« war. Aber dieses Gefühl war auch wieder nicht so stark, daß sie noch einmal ihr Leben aufs Spiel gesetzt hätten. Das hatten sie schon zu oft getan. Einige sahen sich verstohlen nach rechts und links um. An den Gesichtern der jüngeren Männer konnten sie schon ablesen, welche nachher zurückbleiben und ihre Namen in den Hut werfen würden. Viele würden es später bedauern, nicht geblieben zu sein, das wußten sie jetzt schon. Denn allein aufgrund der Tatsache, daß sie den Zweck des Unternehmens wohl nie erfahren würden, würden sie für immer ein schlechtes Gewissen haben. In Gedanken wogen sie die Gesichter ihrer Frauen und Kinder dagegen ab und entschieden: nein, diesmal nicht.
Nach einiger Zeit standen die Männer auf und traten der Reihe nach ab. Etwa fünfundzwanzig oder dreißig blieben zurück, um sich als Freiwillige eintragen zu lassen. Ihre Personalakten würden rasch eingesammelt und ausgewertet werden, worauf dann fünfzehn von ihnen nach einem nur scheinbar zufälligen Verfahren ausgewählt werden würden. Besondere Nischen mußten mit besonderen Fertigkeiten ausgefüllt werden, und es lag in der Natur dieser Freiwilligenmission, daß einige der zurückgewiesenen Männer eigentlich besser und kampferfahrener waren als manche, die aufgenommen wurden. Aber sie mußten zurückstecken, weil ihre Fertigkeiten durch einen anderen Freiwilligen schon überflüssig gemacht worden waren. So war eben das Leben in Uniform, und alle Männer akzeptierten das sowohl mit Bedauern wie Erleichterung, als sie wieder zu ihren normalen Pflichten zurückkehrten. Am Ende des Tages wurden die ausgewählten Männer zusammengerufen und erfuhren lediglich ihre Abfahrtszeit. Sie würden mit dem Bus weggebracht werden, also konnte es nicht weit gehen. Zumindest jetzt noch nicht.
Kelly wachte um zwei Uhr auf und machte sich fein. Sein Vorhaben an diesem Nachmittag erforderte ein gepflegtes Aussehen, und so trug er ein Hemd mit Krawatte und ein Jackett. Er hätte eigentlich noch zum Friseur gehen sollen, aber dafür war es zu spät. Er suchte sich zu seinem blauen Blazer und dem weißen Hemd eine blaue Krawatte aus und ging zu seinem geparkten Scout. So sah er ganz wie der gehobene Vertreter aus, der er zu sein vorgab, als er auf seinem Weg dem Hausverwalter zuwinkte.
Das Glück war Kelly hold. An der Auffahrt zum Haupteingang des Krankenhauses war eine Lücke frei. Er ging hinein und sah eine große Christusfigur in der Vorhalle, etwa zehn bis zwölf Meter hoch, die mit gütiger Miene auf ihn niedersah, ein Ausdruck, der einem Krankenhaus bei weitem angemessener war als dem, was Kelly noch vor zwölf Stunden getan hatte. Er ging um die Statue herum und kehrte ihr den Rücken zu. Diese Art von Gewissenserforschung konnte er nicht verkraften - jedenfalls nicht jetzt.
Sandy O'Toole erschien zwölf nach drei, und als er sie durch die Eichentüren kommen sah, lächelte Kelly, bis er ihren Gesichtsausdruck bemerkte. Einen Augenblick später erfuhr er den Grund dafür. Ein Arzt kam direkt hinter ihr her, ein kleiner, dunkelhaariger Mann in Grün, der so rasch
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