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01 Jesses Maria: Kulturschock

01 Jesses Maria: Kulturschock

Titel: 01 Jesses Maria: Kulturschock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Berling
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Das macht man nicht. Die müssen sich nicht wundern, wenn dann alle hingucken. Aber das wollen solche Leute ja. Genau wie die Grazie da drüben, die mit dem Riesenausschnitt. Wenn die sich falsch bewegt, fallen ihr die Möpse raus. Mein Hosenanzug ist genau richtig. Nadelstreifensind immer gut. Tamara hätte es ein bisschen dezenter machen können, die Federboa ist übertrieben. Satinhandschuhe und Dekolleté hätten gereicht. Aber gut, Galeristinnen müssen sich kreativ anziehen und auffallen, sonst glauben die Künstler am Ende nicht, dass sie was von Kunst verstehen.
    Reihe zwölf, Platz acht und neun, von hier aus kann man gut sehen. Elegant ist das Theater nicht, eher düster.
    Die hätten vor der Vorstellung wirklich gründlicher staubsaugen können, auf dem Teppichboden sieht man jeden Flusen. Es ist nicht in Ordnung, dass man über schlecht gesaugten Teppich gehen muss, wenn man so viel Geld für ein Schauspiel ausgegeben hat, das man nicht kennt.
    Die haben hier nicht mal einen Vorhang. Jeder sieht sofort das ganze Bühnenbild, das ist überhaupt keine Überraschung mehr.
    „Moderne Inszenierung“, hat Tamara gesagt.
    Ich kenne solche Stücke aus der Kulturzeit im Fernsehen, da sind immer Nackte dabei. Oft sind die dann am ganzen Körper blau oder grün oder schwarz angemalt, sodass man nichts richtig erkennen kann, aber nackig sind sie trotzdem.
    Ob die hier auch Nackte haben?
    Wenn der Typ neben mir weiter so mit dem Fuß wippt, kann ich mich nicht konzentrieren. Die ganze Reihe vibriert, so wippt der. Ob er nervös ist? Der geht wohl nicht alle Tage ins Theater. Und jetzt wartet er auf die Nackten. Kein Wunder. Bei der Frau.
Wenn
dasneben ihm seine Frau ist. Manche gehen ja auch mit der Geliebten ins Theater und tun zuhause so, als machten sie Überstunden. Heute fällt so was nicht mehr auf. Wenn Männer im Theater noch Smoking trügen, hätte mein lieber Nachbar es zuhause schwer gehabt, seine Ausrede unterzubringen.
    Aber hält sich einer eine Geliebte, die so aussieht? Eine mit Falten, Brille, Bauch und Dauerwelle? Nun. Hübsch ist
er
auch nicht. Dem wachsen Haare aus den Ohren. Vielen Männern wachsen Haare aus der Nase. Manni, der hatte damals immer eine bestimmte Schere, mit der er sich die Nasenhaare schnitt. Ich hatte ein blaues Bändchen an die Schere gebunden, damit ich sie nicht versehentlich benutze, um meine Nagelhaut zu schneiden. Nasenhaare sind nämlich auch nicht immer ohne alles. Wie schneidet überhaupt man Ohr-Haare? Es geht los.
    Ohne Vorwarnung und ohne Vorhang.
    Ich weiß nicht, ob ich es gut finde, dass die Männer auf der Bühne schwarzes Leder tragen. Die sind bei Hofe, da ist ein Präsident, immerhin, und sein Sohn, ein hübscher Bursche, und ein Sekretär. So einer trägt keine Lederkluft wie ein Rocker, und schon gar nicht, wenn er „Wurm“ heißt. Hat Schiller sich die Namen ausgedacht oder sind sie Teil der neuen Inszenierung?
    Blöd, dass sie so altmodisch reden. Aber, das muss ich den Schauspielern lassen, so wie die betonen, klingt es wie eine richtige Unterhaltung.
    Alle Achtung, müssen viel Text auswendig lernen. Das könnte ich mir niemals alles merken.
    Was tun sie eigentlich, wenn sie mal nicht wissen, wie es weitergeht? Gibt es noch diese Leute, die sich in einer Halbkugel verstecken und vorsagen, wenn einer hängt? Souffleusen? Heißt das noch Souffleuse? Darf man das noch sagen?
    Friseuse und Masseuse darf man auch nicht mehr sagen, es heißt jetzt Friseurin und Masseurin. Heißt es also Souffleurin?
    Jetzt sind fast zwei Stunden rum, die spielen wohl ohne Pause. Das hätte ich wissen müssen, dann wäre ich vorher aufs Klo gegangen.
    Licht an? Ist doch Pause? Nach zwei Stunden? Spielen sie danach etwa noch mal zwei Stunden?
    Typisch. Alle Frauen gehen gleichzeitig aufs Klo.
    Die Schlange reicht bis an die Garderobe.
    Da komm ich doch nicht mehr dran, bis es drinnen weitergeht. So ein Mist, ich kann nicht über vier Stunden irgendwo sitzen, ohne aufs Klo zu gehen. Oder bleib ich draußen? Den zweiten Teil kann ich doch auch im Programmheft nachlesen, oder nicht?

Klassentreffen
    Es ist lange her. Mindestens zwanzig Jahre.
    An das letzte Klassentreffen kann ich mich trotzdem gut erinnern.
    Susi hatte alles organisiert. Typisch. Die hat schon alles an sich gerissen. Sie war so eine, die im Mittelpunkt stehen musste, immer alles besser wusste und die sich beinahe mit den Lehrern duzte. Und gute Noten hatte die Streberin obendrein. Hässlich war sie nicht, nur

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