01 - komplett
genug war, um den Skandal im Gegenzug für Reichtum und einen Titel zu schlucken.
„Man hat mir versichert, dass Miss Maylin ganz anders ist als ihre Stiefmutter.
Außerdem kann sie anscheinend gut mit Kindern umgehen. Louisa braucht eine Mutter.“ Will hätte auch eine Gouvernante beschreiben können – seine Stimme war ausdruckslos und bar jeden Gefühls.
Lucas wurde allmählich zornig. Dies war der Freund, der früher dauernd gelacht hatte, der Mann, der ihm so oft aus der Patsche geholfen hatte, dass er es gar nicht zählen konnte. Sein bester Freund – der Bruder, den er nie gehabt hatte –, und er hatte eine Frau verdient, die ihn liebte, die ihm den Frohsinn wiederbrachte. Eine Frau, die sein Herz aus der Erstarrung löste.
„Und wenn sich herausstellt, dass sie doch nicht so ist, wie sie dir beschrieben wurde?“, fragte er harsch.
„Dann würde ich ihr eben keinen Heiratsantrag machen.“ Will schien überrascht, dass sein Freund diese Frage überhaupt stellte. „Mit einer Frau, die Louisa keine gute Mutter sein würde, könnte ich nie einen Hausstand gründen.“ Er schüttelte den Kopf. „Aber es besteht keinerlei Grund zur Beunruhigung: Ich vertraue auf das Urteil meiner Großmutter.“
„Ich begleite dich.“ Verdammt, alles, woran er denken kann, ist, ob seine neue Frau eine gute Mutter für seine Tochter wäre. Was ist denn mit ihm los? Ist er beim letzten Mal nicht schon genug verletzt worden?
„Aber du bist nicht eingeladen.“ Doch dann zuckte Will mit den Schultern. „Nun ja, sicher ist es für dich ein Leichtes, dir eine Einladung zu sichern. Du hast dich zwar ewige Zeiten in der Karibik aufgehalten, aber vergessen hat dich sicher keiner. Und vermutlich wird es auch niemanden überraschen, dich zu sehen, nachdem du jetzt den Titel geerbt hast.“
„Hoffentlich haben sie mich so weit vergessen, dass sie mich nicht erkennen.
Zumindest solange sie mich irgendwo sehen, wo sie mich nicht vermuten würden.“
Lucas lächelte und bog die Finger durch. Er stellte sich vor, wie er sie um Miss Maylins gierige kleine Kehle legte, aber er behielt einen leichtherzigen Tonfall bei.
„Ich begleite dich als dein Kammerdiener, Will – Dienstboten kennen die schmutzigen Geheimnisse ihrer Herrschaft und sind bestimmt nur zu gern bereit, darüber zu klatschen. Nach ein paar Tagen werde ich genau wissen, was deine Miss Maylin so zu verbergen hat, glaub mir. Und wenn Perrott mir sein Rezept für Stiefelwichse anvertraut, kriegst du auch noch anständig geputzte Stiefel.“
Zehn Tage später
Es war wichtig, seinen Platz zu kennen. Miss Maylins Kammerzofe, eine junge Frau, die sich Daisy Lawrence nannte, stand inmitten der schäbigen Reisetaschen und des alten Schrankkoffers, aus dem das Gepäck ihrer Herrin bestand, und presste die lederne Schmuckschatulle an sich. Vor ihr überwachten die Kammerzofen von Lady Meredith Hughes und der Ehrenwerten Miss Geraldine Mather bereits die Lakaien bei der Arbeit, die das eindrucksvolle Gepäck mit gebührendem Respekt die Treppe hinauf zu den Gästezimmern trugen.
Die beiden waren nach ihr eingetroffen, aber auch in Tollesbury Court entsprach die Rangfolge der Dienstboten der ihrer Herrschaft, wie überall in der vornehmen Welt: Diener höherrangiger Herren erhielten den Vortritt. Miss Penelope Maylin stand gesellschaftlich auf einer der untersten Stufen, was bedeutete, dass ihre Kammerzofe geduldig abwarten musste, bis die ranghöheren Dienstboten versorgt waren.
In den beiden Kaminen, die sich am anderen Ende der riesigen, gefliesten Halle gegenüberlagen, loderten Feuer. In jedem hätte man einen Ochsen braten können, dachte Daisy, aber in der Ecke, in der sie stand, hätte der Koch beruhigt seine Sahnedesserts und sein Eis lagern können, ohne befürchten zu müssen, dass sie schmolzen. Ihre Zehen in den Halbstiefelchen aus Stoff waren eiskalt, und sie konnte nur dankbar sein, dass sie nicht an Frostbeulen litt. Noch nicht.
Vor den Kaminen wurden die Gäste von den Gastgebern begrüßt und an den Butler weitergeleitet, der Lakaien herbeirief, die sie hinauf aufs Zimmer geleiten sollten.
Das alles dauerte geraume Zeit, sodass sich zwischen den beiden Kaminen immer mehr Leute drängten, Mäntel und Muffs ablegten und miteinander plauderten. Auch dort trat die Rangfolge klar zutage. Miss Maylin stand unbehaglich nahe am Feuer; sie war zu schüchtern, um sich um eine ausladende ältere Dame herumzuzwängen, die fest entschlossen schien, ihren
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