01 - komplett
wirklich der arroganteste, eitelste und selbstgefälligste alte Wüstling, der mir je begegnet ist!“
Sebastian bewunderte die junge Dame für ihren temperamentvollen Ausbruch.
Gleichzeitig allerdings ärgerte er sich über das Wort ‚alt‘. „Ich hätte Sie nicht für so unfair gehalten“, stellte er fest. „Ich bin schließlich erst fünfunddreißig. Zum alten Eisen gehöre ich damit wohl noch nicht.“
Clara stieß einen übertriebenen Seufzer aus. „Wir wollen Ihre tragische Besessenheit von allem, was das Alter betrifft, einen Moment lang vergessen, Euer Gnaden. Ich habe Sie lediglich gebeten, mir zu zeigen, wie ich einen Rake überlisten kann, statt ihm in die Arme zu fallen. Die Sorge, ich könne andere Ziele verfolgen, ist wirklich völlig unbegründet. Ich habe nicht vor, meine Netze nach Ihnen auszuwerfen. Im Gegenteil! Ich kann Ihnen versichern, dass ich keinerlei romantische Gefühle für Sie hege.“
Er schwieg so lange, dass die Stille unangenehm wurde. Die Pferde gingen immer langsamer und blieben schließlich unter einer Eiche stehen. Jetzt endlich schenkte Sebastian seiner Begleiterin seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Er musterte sie lange und eingehend.
Obwohl die Luft noch genauso kalt war wie eine halbe Stunde zuvor, spürte Clara, wie ihr heiß wurde – und zwar nicht nur vor Zorn. Es fiel ihr auf einmal schwer, ruhig zu atmen. Und der forschende Blick, mit dem Fleet sie bedachte, trieb ihr das Blut ins Gesicht.
„Sie hegen keine Gefühle für mich?“, fragte Sebastian. „Sollte das die Wahrheit sein?“
„Oh, ich bringe Ihnen durchaus einige Gefühle entgegen“, gab sie ärgerlich zurück.
„Wut zum Bespiel.“
„Ein starkes Gefühl.“
„Allerdings. Jedoch keines der romantischen Art.“ Sie wandte die Augen ab und entfernte einen Fussel von der Decke, die ihre Knie wärmte. „Zurzeit bietet mir mein Leben alles, was ich mir nur wünsche. Warum also sollte ich heiraten? Noch dazu ausgerechnet Sie?“
Als sie bemerkte, dass er gereizt auffahren wollte, fuhr sie rasch fort: „Darauf brauchen Sie nicht zu antworten. Es war eine rein rhetorische Frage.“
„Natürlich.“ Sein Lächeln hatte jetzt etwas beinahe Boshaftes. „Im Übrigen bezweifele ich, dass meine Antwort Ihnen gefallen hätte.“
„Wahrscheinlich hätte ich Ihnen Ihre Worte übel genommen, denn zweifellos wollten Sie etwas sehr Ungehöriges sagen.“
„Damit müssen Sie rechnen, wenn Sie sich mit einem Rake unterhalten, Miss Davencourt. Ich bin nun mal nicht der perfekte Gentleman.“
„Ebendeshalb brauche ich ja Ihre Hilfe. Sie sind so geschickt in allem, was sich nicht gehört. Als Sie vorhin in die Bibliothek kamen, hatten Sie bereits meine Hand ergriffen, ehe ich auch nur daran denken konnte, sie Ihnen zu verweigern. Sie haben meine Gesellschafterin mit Ihrem Charme so aus dem Gleichgewicht gebracht, dass sie ihre Pflicht vergaß und Ihnen gestattete, mit mir allein auszufahren. Ich möchte lernen, genau diese Art von Manipulation zu verhindern.“
Sebastian schüttelte den Kopf. „Ich muss Ihre Bitte dennoch ablehnen.“
„Aber warum?“
„Weil ich Ihnen sonst unweigerlich schaden würde, meine liebe Miss Davencourt. Es ist Ihnen vielleicht nicht aufgefallen, aber“, er wandte sich ihr zu, und sein Knie berührte dabei leicht das ihre, „ich handele gegen meine eigenen Interessen, indem ich Ihnen Ihren Wunsch abschlage. Jeder normale Rake würde sich mit Freuden auf einen solchen Vorschlag einlassen. Aber nicht, um Ihnen dabei zu helfen, Ihren Ruf zu schützen. Nein, er würde die Gelegenheit nutzen, Sie zu verführen.“
Skeptisch hob sie die Augenbrauen. „Sie wollen mir zu verstehen geben, dass Sie aus uneigennützigen Motiven handeln? Sie wollen mich schützen, indem Sie sich von mir fernhalten?“
„Allerdings. Ich denke im Moment nur an Ihren Vorteil – was beweist, dass ich anders bin. Ich halte mich nämlich nicht für einen normalen, durchschnittlichen Rake.“
Das wusste Clara nur zu gut, obwohl er es nie zuvor so deutlich ausgesprochen hatte.
Tatsächlich war nichts an Fleet durchschnittlich. Er war etwas Besonderes, was nicht nur an seiner starken männlichen Ausstrahlung, seinem erstaunlichen Selbstbewusstsein und seiner Klugheit lag. Er trug etwas Dunkles, vielleicht Gefährliches in sich. Etwas, das sie tief im Inneren erbeben ließ.
Es war unbesonnen gewesen, sich an ihn zu wenden. Das hatte sie inzwischen begriffen. Wenn sie doch nur eine andere Möglichkeit
Weitere Kostenlose Bücher