01 - komplett
bestanden hatte, dass er zu alt für sie sei.
„Ich werde meinen Mantel holen“, erklärte sie, erhob sich, knickste und verließ mit einem gemurmelten „Bis gleich, Euer Gnaden“ den Raum. Im Hinausgehen sah sie noch, wie Fleets Augen amüsiert aufblitzten. Er hatte sich also von ihrer zur Schau getragenen Demut nicht in die Irre führen lassen. Sie spürte, wie er ihr mit den Blicken folgte, und ihr Herz begann schneller zu schlagen.
Sie ließ ihn nicht lange warten. Als sie in die Eingangshalle trat, empfing er sie mit sichtlichem Wohlwollen. „Es gibt nur wenige Damen, die weniger als eine Stunde benötigen, um sich fertig zu machen“, lobte er.
„Ich wollte nicht, dass Ihre Pferde zu lange in der Kälte stehen“, gab sie in leicht ironischem Ton zurück.
„Die Tiere waren Ihnen wichtiger als ich? Ich hatte gehofft, Sie hätten sich mir zuliebe beeilt. Natürlich weiß ich Ihre Besorgnis um meine Pferde zu schätzen.
Dennoch bin ich ein wenig gekränkt.“
Sie lächelte nur.
Gleich darauf verließen sie das Haus. Sebastian hatte Clara den Arm gereicht und führte sie plaudernd zu seinem Phaeton. Er half ihr beim Einsteigen, breitete fürsorglich eine flauschige Decke über ihre Knie aus und bot ihr einen heißen Ziegelstein für die Füße an. Dankend nahm sie an. Trotz der winterlichen Kälte war es ihr jetzt angenehm warm.
Fleet setzte sich neben sie und griff nach den Zügeln. In diesem Moment wurde ihr klar, dass er sich nicht von einem seiner Reitknechte begleiten ließ. Hoffentlich entging diese Tatsache Mrs. Boyce, die jetzt sicher hinter der Gardine stand und auf die Straße schaute. Da Clara keine Zeugen für ihre Unterredung mit Fleet wünschte, war sie froh darüber, allein mit ihm zu sein. Allerdings machte die Situation sie auch ein wenig nervös. Von Sebastian durfte man nicht erwarten, dass er sich in allem wie ein Gentleman benahm. Einst hatte sie geglaubt, ihn gut zu kennen. Dennoch hatte er sie oft mit unerwarteten und unkonventionellen Handlungen überrascht. Genau das war ein Teil ihres Problems ...
„Ich muss gestehen, dass Ihr Brief mich erstaunt hat, Miss Davencourt“, stellte Sebastian fest, schnalzte mit der Zunge, und sogleich setzten die Pferde sich in Bewegung. „Die Umstände unserer Trennung ließen mich annehmen, ich würde nie wieder von Ihnen hören.“
Clara reagierte darauf mit einem sanften Lächeln. „Sie haben recht, Euer Gnaden.
Wie ich in meinem Schreiben andeutete, hat mich nur die Größe meiner Not dazu gebracht, mit Ihnen in Kontakt zu treten. Ich hoffte, Sie würden mir meine Bitte aus Freundschaft zu meinem Bruder nicht abschlagen.“
Er hob die Augenbrauen. „Wie Sie sehen, bin ich hier und stehe Ihnen zu Diensten.“
Seine Stimme klang kühl. „Es muss sehr beruhigend für Sie sein zu wissen, dass Sie nur an mein Ehrgefühl zu appellieren brauchen, damit ich sogleich zu Ihnen eile.“
Clara verkniff sich ein spöttisches Lächeln. „Sie sind zu gütig, Euer Gnaden.“ Als sie aufschaute, blickte sie direkt in seine blauen Augen. Höflich und durchdrungen von dem Wunsch, den unangenehmen Teil recht schnell hinter sich zu bringen, fuhr sie fort: „Ich hoffe sehr, dass wir die Vergangenheit endgültig hinter uns lassen können.
Ich bin inzwischen älter geworden und weiser. Und Sie ...“
„Ja?“
„Nun, vermutlich haben Sie sich in den vergangenen zwei Jahren kaum verändert.“
„Vermutlich“, murmelte er und nickte bedächtig.
„Dann wäre es uns also möglich, wie Freunde miteinander umzugehen?“
Fleet schwieg eine Weile, so als müsse er ihre Worte abwägen. Sein Verhalten gab ihr das Gefühl, etwas Falsches gesagt zu haben. Aber sie wusste nicht, wo der Fehler lag.
Schließlich meinte er nur: „Wenn Sie es wünschen, Miss Davencourt.“ Dabei schaute er sie forschend an.
Ihre Nervosität wuchs. Sie hatte nie daran gezweifelt, dass Sebastian ein ausgesprochen kluger Kopf war. Diejenigen, die ihn lediglich für einen angenehmen Gesellschafter oder einen gut aussehenden leichtlebigen Rake hielten, täuschten sich. Seine blauen Augen sahen mehr, als die meisten seiner Mitmenschen vermuteten. Clara allerdings hatte seine Intelligenz sogleich bemerkt. Sie hatte sich von seiner raschen Auffassungsgabe und von seinem Scharfsinn angezogen gefühlt.
Doch daran sollte sie jetzt besser nicht denken. Es war dumm, über das nachzugrübeln, was ihn so attraktiv machte. Schließlich hatte sie vor achtzehn Monaten jede Hoffnung auf
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