01 - komplett
niedergeschlagen fühlte. Es ging auf Mitternacht zu, Martin blieb verschwunden, und der Duke of Fleet war noch gar nicht aufgetaucht. Jedenfalls konnte sie ihn nirgends entdecken, obwohl sie mehrfach versucht hatte, sich einen Überblick über alle Anwesenden zu verschaffen.
Wieder schaute sie sich suchend um, wobei sie sich große Mühe gab, sich ihre Unruhe nicht anmerken zu lassen. Wie es schien, befanden alle wichtigen Mitglieder der guten Gesellschaft sich an diesem Abend in Cardace House. Es herrschte – so wie jede Gastgeberin es sich wünschte – ein dichtes Gedränge. Doch leider war der einzige Mann, gegen den sie sich gern hätte drängen lassen, nicht da.
Inzwischen bedauerte sie zutiefst, dass sie Fleet geschrieben und um Hilfe gebeten hatte. Während der letzten achtzehn Monate war sie sehr gut zurechtgekommen, ohne mit ihm zu sprechen. Nun aber hatte das Wiedersehen die alten Gefühle aufs Neue geweckt, und Clara sehnte sich nach seiner Nähe.
„Man könnte meinen, du hättest in eine Zitrone gebissen“, stellte Juliana fest, legte die Hand leicht auf den Arm ihrer Schwägerin und führte sie zu den Stühlen auf der einen Seite des Saals. „Es ist wegen Fleet, nicht wahr? Ich glaube, du hast die Enttäuschung über eure Trennung nie wirklich überwunden.“
Nervös biss Clara sich auf die Unterlippe. Ihr war nicht klar gewesen, dass ihr Interesse an Fleet noch immer so offensichtlich war. Sie hatte doch so viel Zeit und Mühe darauf verwendet, ihre Gleichgültigkeit ihm gegenüber zur Schau zu stellen!
Vermutlich hätte sie abwehrend auf Julianas Worte reagiert, wenn ihre Schwägerin sie nicht so mitfühlend angeschaut hätte. „Ich fürchte, du hast recht“, gestand sie.
„Aber ich weiß nicht, was ich gegen diese Gefühle tun könnte.“
„Ach ja, Gefühle ...“ Beim Gedanken an das, was sie für ihren Gatten empfand, spielte ein kleines Lächeln um Julianas Lippen. „Sie können eine rechte Last sein.
Und es ist absolut sinnlos, gegen sie anzukämpfen.“
„Ich dachte, meine ... Vorliebe für Fleet gefalle dir nicht.“
„Das stimmt.“ Juliana nickte bestätigend. „Ich fürchte, dass eine Verbindung mit dem Duke nicht gut für dich wäre. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen.
Beispielsweise ist er zu alt für dich und viel zu erfahren.“ Sie zuckte die Schultern. „Er ist mit Martin befreundet, ja. Aber das ändert nichts daran, dass er ein unverbesserlicher Rake ist.“
Clara seufzte. Einerseits musste sie Juliana zustimmen. Andererseits konnte sie sich nicht gegen die tief in ihr verwurzelte Überzeugung wehren, die richtige Frau für Sebastian zu sein. Wäre sie sich dessen nicht so sicher gewesen, hätte sie es niemals gewagt, ihm einen Antrag zu machen. Seine Zurückweisung hatte sie sehr verletzt, und ein paar Wochen lang hatte sie sich gefragt, ob es falsch gewesen war, ihren Gefühlen zu trauen. Sie hatte sich selbst naiv gescholten und versucht, ihre Empfindungen für den attraktiven Duke als romantischen Unsinn abzutun. Dann hatte sie sich gezwungen, nicht mehr an Fleet zu denken. Jetzt allerdings, nach dem Wiedersehen mit ihm, drängten ihre alten Gefühle und Überzeugungen mit neuer Macht an die Oberfläche.
„Ich möchte dir nicht wehtun“, fuhr Juliana leise fort. „aber du darfst nicht vergessen, dass er jahrelange Übung darin hat, sich gegen all das zu wehren, was sein freies Leben beeinträchtigen könnte. Ihm liegt nichts an zärtlichen Gefühlen.
Und die Zuneigung anderer bedeutet ihm wenig. Er hat einen Schutzwall um sich aufgebaut, damit niemand ihm zu nahekommt. Die meisten bemerken das nicht.
Und einige verurteilen ihn deshalb. Ich hingegen verstehe ihn sehr gut, denn ich habe mich eine Zeit lang ähnlich verhalten.“
„Bis Martin kam und dir gezeigt hat, wie glücklich man zu zweit sein kann.“
„Ja. Das heißt jedoch nicht, dass das Gleiche auf dich und Fleet zutrifft.“ Juliana drückte kurz Claras Hand. „Es tut mir so leid, Liebes. Ich möchte dir gern helfen. Vor allem aber möchte ich verhindern, dass du verletzt wirst.“ Sie warf über die Schulter der Schwägerin hinweg einen Blick zur Tür und fuhr fort: „Er ist gerade gekommen.
Soll ich bei dir bleiben?“
Mit einer raschen Bewegung wandte Clara sich um. „Ich danke dir für dein Verständnis, Juliana. Aber mir geht es gut. Du brauchst mich nicht zu beschützen.“
Ihre Schwägerin hob leicht die Augenbrauen, drückte Clara noch einmal die Hand und blieb
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