01 - komplett
weiterschlafen. Doch eine Stimme rief: „Sebastian, wach sofort auf!“
Clara? Er stöhnte.
„Sie sind wohl seine Frau?“, wollte der herbeigeeilte Wirt wissen.
„Noch nicht“, gab Clara kurz angebunden zurück.
Sebastian schob sich mit einer unsicheren Geste die Haare aus der Stirn, hob die schweren Lider und versuchte, sich aufzusetzen. Um ihn herum begann sich alles zu drehen. Sein Mund fühlt sich an, als wäre er mit Watte ausgestopft. Er schluckte, brummte etwas Unverständliches und schloss die Augen wieder. Clara bemerkte, dass seine Wange feucht war. Vermutlich hatte er mit dem Kopf in einer Bierlache gelegen.
„Du riechst wie ein überfüllter Rinnstein“, schimpfte sie. Dann wandte sie sich um:
„Perch, Dawson, können Sie ihn hinausbringen?“
Als der Butler und der Kammerdiener sich bemühten, ihn von der Bank zu ziehen, schlug Sebastian erneut die Augen auf, schaute Clara an und meinte undeutlich:
„Hallo, mein sü... mein süßer Liebling.“ Ein seliges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, während er Clara musterte. Sie sah zwar irgendwie zornig aus, doch ihre Anwesenheit freute ihn ungeheuer. Noch schöner wäre es natürlich gewesen, wenn er sie deutlicher gesehen hätte. Leider schien ihre Gestalt immer wieder zu verschwimmen. Das war bedauerlich. Aber immerhin war sie da. Dabei hatte er doch geglaubt, er würde sie nie wiedersehen. Warum eigentlich?
Er streckte die Hand nach ihr aus.
Perch und Dawson war es unterdessen gelungen, ihn irgendwie auf die Beine zu stellen. Nun hing er zwischen ihnen wie ein nasser Sack. Mit Mühe gelang es ihm, einen Arm um die Schulter des Kammerdieners zu legen. Er begriff nicht so recht, was vorging. Undeutlich glaubte er sich zu erinnern, dass er vor nicht allzu langer Zeit einen Streit mit Clara ausgefochten hatte. Hatte sie nicht geschrien, er solle zum Teufel gehen? Nein, unmöglich. Erstens würde eine Dame so etwas nie sagen. Und zweitens wäre Clara dann ja nicht hier. Sein Gedächtnis musste ihn täuschen. Nun, manchmal war es nicht schlimm, sich zu irren.
„Schön, dassu ...“, setzte er an, bekam Schluckauf und ließ sich erst einmal von Perch und Dawson ein Stück in Richtung Tür ziehen. Dann versuchte er es erneut. „Schön, dass du hier bist, mein Schatz“, rief er Clara zu. „Bleibei ...“ Er schwankte so stark, dass der Butler seinen Griff verstärkte. „Bleib bei mir, Clara, mein Darling. Ich bin froh, dassu ... da bist. Hatte nicht erwartet, dich hiersu ... hier zu sehen.“ Er stolperte und fiel gegen den Butler, dem es gerade noch gelang, das Gleichgewicht zu halten.
„Tut mir leid, Pe... Verdammt, Perch, warum lassen Sie mich nicht einfach schlafen?“
„Weil Miss Davencourt sich Sorgen um Sie gemacht hat, Euer Gnaden“, gab der Butler zurück, als handele es sich um eine ganz alltägliche Unterhaltung.
„Sehr nett von ihr“, murmelte Fleet. „Aber ganz unnötig ... Wir sind ja nich’ ... ja nich’
verheiratet.“ Erneut bekam er einen Schluckauf. Außerdem fühlte sein Kopf sich so entsetzlich schwer an. Und Clara ... Nun, es war wunderbar, sie zu sehen. Trotzdem war es beunruhigend, welche Macht sie über sein Herz hatte. Er liebte sie so sehr, dass es beinahe körperlich schmerzte. Wenn er doch für immer und ewig mit ihr zusammenbleiben könnte! Aber vermutlich verabscheute sie ihn nun, da sie ihn in diesem Zustand erlebt hatte. Er musste abscheulich aussehen. Und hatte sie nicht selbst gesagt, er würde stinken?
Er stöhnte auf. Bestimmt war Clara längst gegangen. Keine vernünftige Frau betrat mitten in der Nacht eine Kneipe an der Goldhawk Road. Und jede Frau, die etwas auf sich hielt, suchte sich einen Gatten, der ihrer würdig war.
Ich jedoch, dachte Fleet, bin eine Schande für mein Geschlecht.
Er schämte sich so sehr, dass ihm übel wurde. Und dann stellte er fest, dass Clara noch immer da war. Trotz allem hatte sie ihm nicht den Rücken gekehrt. Sie ging an Dawsons Seite.
„Ich binnich ... bin nicht sicher, dass es das Richtige für eine Dame is, mitten in der Nacht ...“ Fleets Gedanken verwirrten sich. „Mitten in der Nacht ...“
Clara schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Ich bin hier, um herauszufinden, ob Sie mich lieben, Sebastian.“ Jetzt, da der Wirt sie nicht mehr hören konnte, wollte sie Sebastian lieber wieder siezen.
„Obbich ...“ Er schüttelte den Kopf, als könne er so seine Gedanken entwirren. „Ob ich dich liebe?“ Das war wirklich eine
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