01 - Tage der Sehnsucht
Löhne, die er
tatsächlich an die Dienerschaft zahlte, sowie Einzelheiten aus ihrem Vorleben,
sorgsam zusammengetragen, hatte er aber genau verzeichnet und diese
Aufzeichnungen sorgfältig weggeschlossen.
Mr. John Rainbird,
der Butler, war zuvor erster Lakai im Hause Lord Trampingtons gewesen. Dort
ertappte man ihn im Bett der Lady Trampington und entließ ihn fristlos. Obwohl
sich die gnädige Frau außerordentlich zu amüsieren schien, als sie entdeckt
wurde, jagte man Rainbird mit einem schlechten Zeugnis davon. Als Palmer ihm
eine Anstellung als Butler anbot, erschien ihm das zu schön, um wahr zu sein.
Der Lohn war zwar sehr niedrig und der alte Herzog ein Geizkragen, aber während
der Haupt- und Nachsaison konnte man gute Nebeneinkünfte erzielen, wenn
der Herzog am Grosvenor Square wohnte und in der Clarges Street seine Gäste
empfing. Da der alte Herr unter der krankhaften Vorstellung litt, dass alle
seine Besucher Diebe seien, zog er es vor, sie in ein Haus einzuladen, wo die
Möbel und Kunstgegenstände nicht so wertvoll waren. Nach dem Tode des alten
Herzogs entdeckte Rainbird, dass sein Lohn bis auf das Existenzminimum gekürzt
worden war. Er ging zu Palmer, um zu kündigen, doch jener entgegnete ihm, dass
er dann eine Anzeige in die Zeitung setzen werde, in der er alle künftigen
Arbeitgeber vor Rainbirds Schwäche für das andere Geschlecht warnen wollte. So
blieb Rainbird. Er war ein schlanker gutgebauter Mann von vierzig Jahren und
hatte ein ausdrucksvolles Gesicht, das an einen Komödianten erinnerte. Er sah
bleich aus. Sein Gesichtsausdruck wechselte ständig. Er hatte ein auffallend
langes Kinn und leuchtend graue Augen.
Der Koch Angus
MacGregor, zweiter Küchenchef in einem vornehmen Haus in Paris, als die
Revolution ausbrach, war nach England geflohen, nachdem er vorher noch
zugesehen hatte, wie sein Herr enthauptet wurde. Im Kochen war er ein Genie.
Aber infolge seines hitzigen Temperaments hatte er eine Stellung nach der
anderen verloren. Er wußte, er würde nirgends anders unterkommen, wenn er auch
große Lust verspürte, Palmers Specknacken mit einem Hackbeil zu bearbeiten. An
seinem vorangegangenen Arbeitsplatz hatte er eine Hammelkeule nach seiner
Herrin, Lady Blessop, geworfen, nachdem sie in der Küche hatte sagen lassen,
die Keule sei schlecht gebraten und er habe sie hereingelegt.
Die Haushälterin
Mrs. Middleton - »Mrs.« wurde sie aus Höflichkeit genannt - hatte
einen Pfarrer zum Vater; sie zeichnete sich durch ein feines Benehmen und
Bildung aus. Aber es war mit ihr bergab gegangen. Nach dem Tode ihres Vaters
war sie gezwungen gewesen, für sich selbst zu sorgen. Verzweifelt suchte sie
nach einer Stellung, die einer Dame angemessen war, und hatte schon alle
Hoffnung aufgegeben. So war ihr der Posten einer Haushälterin in Nummer 67 wie
ein Geschenk des Himmels erschienen. Inzwischen wünschte sie sich nichts
sehnlicher, als von dort weggehen zu können, wußte aber, dass niemand sie ohne
Zeugnis einstellen würde.
Der Lakai Joseph,
ein großer, gutaussehender Mann, war vom Bischof von Burnham, der ein Palais
bewohnte, entlassen worden, weil er angeblich gestohlen hatte. Aber jeder
wußte, dass der Diebstahl von der Frau des Bischofs begangen worden war. Sie
neigte dazu, alles, was ihr an den Gästen im Palais gefiel, an sich zu nehmen.
Ihr Ruf musste aber gewahrt werden. Daher erklärte der Bischof Joseph, er könne
sich glücklich schätzen, dass man ihn nicht im Gefängnis werfe.
Joseph hatte etwas
Weibisches an sich und liebte die Livree, die er bei Antritt seiner Stellung in
der Clarges Street bekommen hatte, über alles. Er hätte kündigen und Arbeiter
werden können, aber er war viel zu stolz auf seine weißen Hände und erklärte,
er wolle »lieber verhungern« als andere Arbeit verrichten.
Jenny, die Zofe,
war klein und flink und hatte dunkles Haar. Die Stelle in dem großen Haus in
der Clarges Street war ihre erste. Ohne ein Zeugnis hätte sie nirgends anders
unterkommen können. Genauso war es bei Alice, dem Hausmädchen, einer wahren
Juno, und auch bei Lizzie. Letztere arbeitete als Küchenmagd.
Der Küchenjunge
Dave war erst kürzlich hinzugekommen. Er war seinem Meister, einem Kaminkehrer,
davongelaufen. Geld bekam er nicht, da es Rainbird war, der sich des
zitternden, obdachlosen jungen erbarmt hatte, als er ihn betteln sah. Palmer
wußte nichts von seiner Existenz. Der junge hatte in der Dienerschaft der
Clarges Street eine zweite Familie gefunden. Er
Weitere Kostenlose Bücher