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01 - Tage der Sehnsucht

01 - Tage der Sehnsucht

Titel: 01 - Tage der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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der
Gesindestube drang lauter, fröhlicher Lärm. Lizzie drückte die Tür auf und trat
ein.
    Alle Diener hielten
ein Glas Brandy in der Hand. Sie spendeten dem Koch lebhaft Beifall, der auf
dem Tisch zwei Spieße, über Kreuz gelegt hatte und zwischen ihnen einen etwas
merkwürdigen schottischen Tanz aufführte. Man sah deutlich, dass seine
Schnallenschuhe keinen der beiden Bratspieße berührten, ganz gleich, wie hoch
er sprang.
    »Komm herein,
Mädchen«, rief Rainbird. »Angus hat etwas im rückwärtigen Teil des Kellers
gesucht und ist dabei auf lose Ziegelsteine in der Mauer gestoßen. Dahinter
entdeckte er zwei Flaschen mit gutem französischem Kognak. Hol dir ein Glas und
setz dich zu uns! Dein Gebet ist erhört worden.«
    »Ich habe doch
nicht um etwas wie Kognak gebetet«, erwiderte Lizzie äußerst schockiert. »Aber
Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Mr. Rainbird: Ich und Gott, wir haben
uns um alles gekümmert.«
    Rainbird zwinkerte
Mrs. Middleton zu und tippte sich an die Stirn.
    Mrs. Middleton
lächelte und nickte zustimmend, während ihre große weiße Haube bald nach vorn
und bald nach hinten rutschte. »Das arme Kind«, flüsterte sie. »Sie glaubt das
wirklich.«
    »Lassen Sie ihr
doch den Glauben«, erwiderte Rainbird. »Einer von uns kann ruhig von Hoffnung
erfüllt sein. Trotzdem wird die nächste Saison lang und eintönig sein. Es wird
sich nichts ändern.«

Erster Kapitel

    Aber weit weg, in einem anderen Teil
Großbritanniens, geschah etwas, das das Schicksal des Hauses Clarges Street 67
änderte.
    Begonnen hatte es
Ende Februar, als Mr. Roderick Sinclair, ein Rechtsanwalt im Ruhestand aus
Schottland, die freudige Nachricht erhielt, dass sein Bruder Jamie gestorben
sei.
    Anfangs konnte Mr.
Sinclair sein Glück kaum fassen. Er war dick und von heiterer Gemütsart, dabei
schlampig, eben ein Junggeselle. Er war vor fünf Jahren in den Ruhestand
getreten, um seine restlichen Tage mit dem Vertrinken seiner Ersparnisse auf
angenehme Weise zu verbringen, und hatte fest damit gerechnet, vor seinem
sechzigsten Lebensjahr zu sterben. Aber sein sechzigster Geburtstag war
verstrichen, und er lebte immer noch in seiner kleinen Wohnung in der Royal
Mile in Edinburgh, besaß wenig Geld und würde wohl eines Tages im Armenhaus
landen. Ganz anders sein Bruder Jamie, ein Weinhändler. Der hatte sein ganzes
Leben lang gespart und sich von jedem Pfennig ungern getrennt. So hatte sich
ein großes Vermögen angesammelt, und er war so reich geworden, wie Mr. Sinclair
arm war. jahrelang befand sich Jamie am Rande des Grabes. Mr. Sinclair wartete
schon so lange darauf, dass Jamie in jenes unbekannte Land, aus dem kein
Sterblicher zurückkommt, gehen werde, dass er die ,Hoffnung beinahe aufgegeben
hatte.
    Doch an diesem Tag
war er zu Jamies Anwalt unterwegs, geplagt von heftigen Kopfschmerzen. Er hatte
nämlich am Abend zuvor den Tod seines Bruders in sämtlichen Wirtshäusern der
Altstadt gefeiert. Und er beabsichtigte, so weiter zu machen, mit dem
stärkenden Schoppen Ale, der traditionsgemäß jeden Vormittag in den Kneipen
ausgeschenkt wurde, sobald die Glocken von St. Giles halb zwölf schlugen. Die
meisten Edinburgher tranken dann bis abends um zehn, wenn die Trommel
geschlagen wurde, damit die Bürger die Straßen und Schenken räumten und zu Bett gingen. Die
Tatsache als solche, dass Mr. Sinclair noch in der Royal Mile lebte, war schon
Hinweis genug, dass er auf dem absteigenden Ast war.
    Auf der anderen
Seite der Nordbrücke war die neue Stadt gleichsam aus dem Boden geschossen. Das
gehobene Bürgertum und der Adel waren nach und nach aus ihren verfallenen,
lauten Häusern ausgezogen und hatten sich weit weg vom Getöse der Royal Mile
oder High Street stattliche Herrenhäuser gebaut. Die Mile reichte von der Burg
aus dem Mittelalter, die auf einem fünfzig Meter hohen Fels thronte, bis zum
Holyrood-Palast eine Meile weiter am Ostende. Daher hieß sie Royal Mile,
die Königsstraße. Zu ihren beiden Seiten standen düstere Gebäude, die dem 16.
Jahrhundert entstammten. Ringsum drängte sich ein Gewimmel von steil
abfallenden Gässchen und Höfen, die so dunkel und trostlos wie ein Kerker
waren.
    Mr. Sinclair konnte
sich noch an die Zeit erinnern, als die Mile frühmorgens voller Adliger war;
sie taumelten nach einer durchzechten Nacht heimwärts, die sie in einem der
vielen Klubs der Altstadt verbracht hatten. Doch jetzt traf man nur noch ein
paar, Unverbesserliche an. Die Mehrheit wollte nicht länger

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