01 - Winnetou I
verschwinden.“
„Bin überzeugt davon! Diese liebe Geschwulst wird heut so radikal geheilt werden, daß nichts von ihr übrig bleibt, aber auch von Euch selber nichts als ein Häufchen Menschenasche. Ich sehe keine Rettung für uns, und dennoch ist es mir gar nicht wie Sterben zumute. Ihr mögt es mir glauben oder nicht, ich habe keine Angst und keine Sorge. Es ist mir ganz so, als ob diese Roten uns ganz und gar nichts anhaben könnten, als ob ganz plötzlich irgendwo ein Befreier kommen werde.“
„Möglich! Auch ich habe die Hoffnung noch nicht verloren. Ich möchte sogar wetten, daß wir uns heut abend, am Schlusse dieses so gefährlichen Tages, ganz wohl befinden werden.“
„Das könnt eben nur Ihr sagen, der Ihr ein ausgemachtes Greenhorn seid. Ganz wohl befinden werden! Dummheit! Von ‚ganz wohl’ kann keine Rede sein; ich würde Gott danken, wenn ich mich heut abend überhaupt befände.“
„Ich habe Euch doch öfters gesagt und wohl auch bewiesen, daß deutsche Greenhörner ganz andere Kerls sind als die hiesigen.“
„So? Was wollt Ihr damit sagen? Ihr habt so einen eigenen Ton dabei. Ist Euch vielleicht ein guter Gedanke gekommen?“
„Ja.“
„Welcher? Und wann?“
„An dem Abend, an welchem es Winnetou und seinem Vater gelang, zu entfliehen.“
„Da kam Euch ein Gedanke? Sonderbar! Der wird uns heut nichts nützen, denn als er Euch damals kam, da wußtet Ihr ja nicht, daß wir hier bei den Apachen so schöne Garconlogis bekommen würden. Wie heißt denn dieser Gedanke?“
„Haarlocke.“
„Haarlocke?“ wiederholte er erstaunt. „Sagt einmal, Sir, wie es sich mit Eurem Oberstübchen verhält! Habt Ihr etwa ein Rattennest darin?“
„Glaube nicht.“
„Aber was faselt Ihr denn da von einer Haarlocke? Hat Euch etwa eine frühere Geliebte ihren Zopf geschenkt, den Ihr den Apachen zum Präsent machen wollt?“
„Nein, sondern ich habe sie von einem Mann.“
Er sah mich an, als ob er an meinem Verstand zweifle, schüttelte den Kopf und sagte:
„Hört, geliebter Sir, es ist wirklich nicht richtig in Eurem Kopfe. Eure Verwundung muß da etwas zurückgelassen haben, was überflüssig ist. Wahrscheinlich habt Ihr die Haarlocke im Gehirn, nicht aber in der Tasche. Denn ich wüßte nicht, wie wir durch einen Haarzopf hier von den Marterpfählen loskommen könnten.“
„Hm, ja; es ist eben eine Greenhornidee, und wir müssen ruhig abwarten, ob sie sich bewährt oder nicht. Was übrigens das Loskommen von den Marterpfählen betrifft, so bin ich wenigstens in Beziehung auf meine Person sicher, daß ich nicht an dem meinigen hängen bleibe.“
„Natürlich! Wenn man Euch verbrannt hat, hängt Ihr nicht mehr daran.“
„Pshaw! Ich komme los, ehe man die Martern mit uns beginnt.“
„So? Welchen Grund habt Ihr, dies zu glauben?“
„Ich soll schwimmen.“
„Schwimmen?“ fragte er, indem er abermals einen Blick so auf mich richtete, wie ungefähr ein Irrenarzt auf seinen Patienten.
„Ja, schwimmen. Und das kann ich doch hier am Pfahle nicht. Man muß mich also losbinden.“
„Alle Wetter! Wer hat Euch denn gesagt, daß Ihr schwimmen sollt?“
„Winnetou.“
„Und wann sollt Ihr schwimmen?“
„Heut natürlich, jetzt.“
„Good lack! Wenn er dies gesagt hat, so ist es freilich grad wie ein Sonnenstrahl, der durch die Wolken bricht. Es scheint, Ihr sollt um Euer Leben kämpfen.“
„Das denke ich auch.“
„So wird es mit uns ebenso der Fall sein, denn ich glaube nicht, daß man mit Euch anders verfahren wird als mit uns. In diesem Falle ist unsere Lage allerdings nicht so verzweifelt, wie ich bisher angenommen habe.“
„Das denke ich auch. Wir werden uns wahrscheinlich retten können.“
„Oho! Bildet Euch nun nur nicht zu viel ein! Wenn man uns um das Leben kämpfen läßt, so wird man uns die Sache möglichst schwierig machen. Aber es gibt Beispiele, daß in solchen Fällen weiße Gefangene gerettet worden sind. Habt Ihr denn das Schwimmen gelernt, Sir?“
„Ja.“
„Aber wie!“
„So, daß ich glaube, mich vor keinem Indianer fürchten zu müssen.“
„Hört, bildet Euch nichts ein! Diese Kerls schwimmen wie die Wasserratten, wie die Fische.“
„Und ich wie ein Fischotter, der die Fische fängt und frißt.“
„Ihr schneidet auf!“
„Nein. Das Schwimmen ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen gewesen. Habt Ihr vielleicht einmal vom Wassertreten gehört?“
„Ja.“
„Könnt Ihr es?“
„Nein; ich habe es auch noch nicht
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