01 - Winnetou I
weitersprach:
„Intschu tschuna und Winnetou sind in ihrem Ruhm dadurch gekränkt worden, daß es nur der Faust eines Bleichgesichtes bedurfte, sie niederzuschlagen und zu betäuben. Sie müssen diesen Flecken wegwaschen, indem einer von ihnen mit diesem Bleichgesicht kämpft. Winnetou muß zurücktreten, denn ich bin älter und der erste Häuptling der Apachen. Er ist damit einverstanden, denn ich werde mit meiner Ehre auch die seinige dadurch reinigen, daß ich Old Shatterhand töte.“
Er ließ wieder eine Pause eintreten.
„Könnt Euch freuen, Sir!“ sagte Sam. „Werdet jedenfalls einen schnelleren Tod haben als wir. Habt den Kerl schonen wollen und werdet nun auf alle Fälle von ihm ausgelöscht!“
„Das wollen wir abwarten!“
„Brauche es gar nicht abzuwarten, weiß es im voraus. Oder meint Ihr, daß es sich um gleiche Waffen handeln wird?“
„Das bilde ich mir nicht ein.“
„Well! Die Bedingungen werden bei solchen Gelegenheiten so gestellt, daß der Weiße verloren ist. Kam ja irgendwo und irgend einmal einer mit dem Leben davon, so ist es eine Ausnahme gewesen, welche die Regel nur bestätigt. Hört!“
Intschu tschuna fuhr fort:
„Wir werden Old Shatterhand die Fesseln abnehmen und ihn in das Wasser des Flusses lassen, über den er zu schwimmen hat; aber er bekommt keine Waffe. Ich folge ihm und nehme nur den Tomahawk mit. Kommt Old Shatterhand an das Ufer und lebendig bis zu der Zeder, welche da drüben auf der Lichtung steht, so ist er gerettet, und auch seine Gefährten sind frei; sie können gehen, wohin sie wollen. Töte ich ihn aber, bevor er die Zeder erreicht, so sind auch sie dem Tod verfallen und werden zwar nicht gemartert und verbrannt, sondern erschossen. Alle anwesenden Krieger wollen bestätigen, daß sie meine Worte gehört und verstanden haben und dieselben beherzigen wollen.“
„Howgh!“ lautete die einstimmige Antwort.
Man kann sich denken, daß wir uns in großer Aufregung befanden, ich wohl nicht so sehr wie Sam, Dick und Will. Der erstere sagte:
„Das haben diese Kerls sehr schlau angefangen. Weil Ihr der Vornehmste seid, sollt Ihr schwimmen. Unsinn! Weil Ihr ein Greenhorn seid; das ist der Grund. Mich, mich sollten sie ins Wasser lassen! Wollte ihnen zeigen, daß Sam Hawkens wie eine Forelle durch die Wellen geht! Aber Ihr! Hört, Sir, bedenkt, daß unser Leben von Euch abhängig ist! Wenn Ihr verliert und wir sterben müssen, rede ich kein einziges Wort mehr mit Euch. Darauf könnt Ihr Euch verlassen, wenn ich mich nicht irre!“
„Sorgt Euch nicht, alter Sam!“ antwortete ich. „Was ich tun kann, das tue ich. Ich meine ganz im Gegenteil zu Euch, daß die Roten gar keine üble Wahl getroffen haben. Ich bin überzeugt, daß ich Euch leichter retten werde, als Ihr uns retten könntet.“
„Wollen es hoffen! Also, es geht auf Leben und Tod. Ihr dürft Intschu tschuna nicht etwa schonen. Laßt Euch diesen Gedanken ja nicht in den Kopf kommen!“
„Wollen sehen!“
„Das ist nichts gesagt; da gibt es gar nichts zu sehen! Wenn Ihr ihn schont, so seid ihr verloren, und wir gehen auch zugrunde. Ihr verlaßt Euch wohl auf Eure Faust?“
„Ja.“
„Das tut nicht, ja nicht! Es wird gar nicht zum Handgemenge kommen.“
„Ich bin überzeugt, daß es dazu kommt.“
„Nein, nicht.“
„Wie will er mich denn töten?“
„Mit dem Tomahawk natürlich. Ihr wißt doch, daß man den nicht nur im Nahkampf anwendet; er ist auch eine fürchterliche Waffe für die Ferne; er wird geworfen, und diese Roten sind darin so geübt, daß sie einem auf hundert Schritt die Spitze des emporgehaltenen Fingers damit abschneiden. Intschu tschuna wird nicht etwa mit dem Beil auf Euch loshacken, sondern es, während ihr flieht, hinter Euch herschleudern und Euch beim ersten Wurf töten. Glaubt mir, Ihr mögt ein noch so vorzüglicher Schwimmer sein, Ihr kommt gar nicht ans andere Ufer hinüber; er schleudert Euch schon während des Schwimmens den Tomahawk in den Kopf oder vielmehr in den Nacken, was weit sicherer tötet. Da hilft Euch alle Eure Kunst und alle Eure Stärke nichts.“
„Das weiß ich, lieber Sam. Und ebenso weiß ich, daß unter Umständen ein Fingerhut voll List mehr wirkt als ein großes Faß voll Körperkraft.“
„List? Wie wolltet denn Ihr zu der nötigen List gekommen sein! Ich sage Euch, daß der alte Sam Hawkens als ein pfiffiger Kerl bekannt ist; aber ich kann trotz dieser Pfiffigkeit nicht einsehen, wie Ihr dem Häuptling durch List den Rang
Weitere Kostenlose Bücher