01 - Winnetou I
Haare, welche Ihr Winnetou zeigtet?“
„Ich hatte sie ihm abgeschnitten.“
„Wann?“
„Als ich ihn und seinen Vater losknüpfte.“
„So hättet – – – alle Teufe! – – – Ihr hättet – – – Ihr, das Greenhorn hättet – – – hättet sie befreit?“
„Freilich.“
„Ohne uns ein Wort zu sagen!“
„War nicht nötig.“
„Aber, wie habt Ihr das denn angefangen?“
„Grad so, wie es ein Greenhorn anzufangen pflegt.“
„Redet verständig, Sir! Das war eine außerordentlich schwierige Sache!“
„Ja, Ihr zweifelt sogar daran, ob sie Euch selbst gut gelingen würde.“
„Und Euch ist sie gelungen! Entweder habe ich gar keinen Verstand, oder er steht mir still!“
„Das erstere ist der Fall, das erstere, Sam!“
„Macht keine dummen Witze! So ein Heimtücker! Macht die Häuptlinge los und trägt den Zopf, welcher Wunder wirkte, mit sich herum, ohne uns ein Wort davon zu sagen! Hat so ein ehrliches Gesicht, der Kerl, aber man darf eben keinem Menschen mehr trauen! Und wie ist es denn heut gewesen. Es ist mir da einiges unklar geblieben. Ihr wäret ertrunken und dann plötzlich wieder da!“
Ich erzählte es ihm. Als ich geendet hatte, rief er aus:
„Mensch, Freund und Greenhorn, Ihr seid doch ein ganz fürchterlicher Racker, wenn ich mich nicht irre! Ich muß Euch wieder fragen wie schon früher einmal: Ihr seid wirklich noch nie im wilden Westen gewesen?“
„Nein.“
„Auch überhaupt in den Vereinigten Staaten nicht?“
„Nein.“
„Denn mag Euch der Kuckuck begreifen, ich aber nicht! Ihr seid in allem Anfänger und doch in allem gleich fertig. So ein Patron, wie Ihr seid, ist mir wirklich noch nicht vorgekommen. Muß Euch loben, wirklich loben. Habt Eure Sache schlau angefangen, hihihihi! Unser Leben hing wirklich nur an einem Haar. Braucht Euch aber auf dieses Lob nichts einzubilden, gar nichts. Werdet dafür um so größere Dummheiten machen. Sollte mich wirklich wundern, wenn aus Euch einmal ein brauchbarer Westmann würde!“
Er hätte in dieser Weise wohl noch fortgefahren; aber da kam Winnetou mit Intschu tschuna herbei. Dieser letztere sah mir grad so wie vorher sein Sohn lange und ernst in das Gesicht und sagte dann:
„Ich habe von Winnetou alles gehört. Ihr seid frei und werdet uns verzeihen. Du bist ein sehr tapferer und sehr listiger Krieger und wirst noch manchen Feind besiegen. Der handelt klug, der dich zu seinem Freund macht. Willst du das Calumet des Friedens mit uns rauchen?“
„Ja; ich möchte euer Freund und Bruder sein!“
„So kommt mit mir und Nscho-tschi, meiner Tochter, ins Pueblo jetzt hinauf! Ich will meinem Überwinder eine Wohnung anweisen, wie sie seiner würdig ist. Winnetou bleibt hier unten, um die Ordnung zu wahren.“
Wir stiegen mit ihm und Nscho-tschi als freie Männer nach der Pyramidenburg hinauf, die wir als Gefangene verlassen hatten, um in den Tod geschleppt zu werden. – – –
FÜNFTES KAPITEL
Schöner Tag
Als wir jetzt nach dem Pueblo zurückkehrten und bei demselben anlangten, sah ich erst, welch ein mächtiger, imposanter Steinbau dasselbe war. Man hält die amerikanischen Völkerschaften für bildungsunfähig; aber Menschen, welche solche Felsenmassen zu bewegen und zu einer solchen mit den damaligen Waffen uneinnehmbaren Festung aufeinander zu türmen verstanden hatten, konnten unmöglich nur auf der untersten, niedrigsten Kulturstufe gestanden haben. Und wenn man sagt, daß diese Nationen früher bestanden haben, und daß die jetzigen Indianer keineswegs Abkömmlinge derselben seien, so will ich das weder zugeben noch bestreiten; aber wenn es wirklich so sein sollte, dann ist das noch kein Grund zu der Behauptung, daß die Indianer geistig nicht vorwärtskommen können. Natürlich, wenn man ihnen nicht die Zeit und den Raum dazu gönnt, so müssen sie verkommen und untergehen.
Wir stiegen mittels der vorhandenen Leitern bis zur dritten Plattform empor, hinter welcher die besten Räume des Pueblo lagen. Da wohnte Intschu tschuna mit seinen beiden Kindern, und da bekamen wir unsere Wohnung angewiesen.
Die meinige war groß. Sie hatte zwar auch keine Fensteröffnungen und erhielt ihr Licht nur durch die Tür, aber diese war so breit und hoch, daß es an der nötigen Helligkeit nicht mangelte. Der Raum war leer, doch Nscho-tschi möblierte ihn mir bald mit Fellen, Decken und Gerätschaften so gut aus, daß ich mich weit mehr als den Verhältnissen angemessen behaglich fühlen konnte.
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