01 - Winnetou I
Hawkens, Stone und Parker bekamen zusammen ein ähnliches Gemach angewiesen.
Als mein ‚Gastzimmer’ so weit eingerichtet war, daß ich es betreten konnte, brachte ‚Schöner Tag’ mir eine prächtig geschnittene Friedenspfeife und Tabak dazu. Sie stopfte sie mir selbst und setzte den Tabak dann in Brand. Als ich die ersten Züge tat, sagte sie:
„Dieses Calumet sendet dir Intschu tschuna, mein Vater. Er selbst hat den Ton dazu aus den heiligen Steinbrüchen geholt, und ich habe den Kopf daraus geschnitten. Sie ist noch in keines Menschen Mund gewesen, und wir bitten dich, sie von uns als dein Eigentum anzunehmen und unser zu gedenken, wenn du daraus rauchst.“
„Eure Güte ist groß“, antwortete ich. „Sie beschämt mich fast, denn ich kann dieses Geschenk nicht erwidern.“
„Du hast uns bereits so viel gegeben, daß wir dir gar nicht dafür danken können, nämlich wiederholt das Leben Intschu tschunas und Winnetous, meines Bruders. Beide waren wiederholt in deine Hand gegeben, ohne daß du sie tötetest. Heut wieder konntest du Intschu tschuna das Leben nehmen, ohne daß du dafür bestraft worden wärst; du hast es aber nicht getan. Dafür sind dir unsere Herzen zugewendet, und du sollst unser Bruder sein, wenn du es unsern Kriegern erlaubst, dich als solchen zu betrachten.“
„Wenn das geschieht, so ist mein größter Wunsch erfüllt. Intschu tschuna ist ein sehr berühmter Häuptling und Krieger, und Winnetou habe ich gleich vom ersten Augenblick an lieb gehabt. Es ist mir nicht nur eine große Ehre, sondern eine ebenso große Freude, der Bruder solcher Männer genannt zu werden. Ich wünsche nur, daß meine Gefährten auch daran teilnehmen dürfen.“
„Wenn sie wollen, wird man sie so betrachten, als ob sie als Apachen geboren worden seien.“
„Wir danken euch dafür. Also du selbst hast diesen Pfeifenkopf aus dem heiligen Ton geschnitten? Wie kunstvoll deine Hände sind!“
Sie errötete über dieses Lob und antwortete:
„Ich weiß, daß die Frauen und Töchter der Bleichgesichter noch viel kunstfertiger und geschickter sind als wir. Ich werde dir jetzt noch etwas holen.“
Sie ging und brachte mir dann meine Revolver, mein Messer, alle meine Munition und die sonstigen Gegenstände, welche sich nicht in meinen Taschen befunden hatten; denn alles was darin gewesen war, das hatte man mir gelassen. Ich bedankte mich, erkannte an, daß mir nun nicht mehr das Geringste fehle, und fragte:
„Werden auch meine Kameraden wieder bekommen, was ihnen abgenommen worden ist?“
„Ja, alles. Sie werden es jetzt schon haben, denn während ich dich hier bediene, sorgt Intschu tschuna für sie.“
„Und wie steht es mit unsern Pferden?“
„Die sind auch da. Du wirst das deinige wieder reiten und Hawkens seine Mary auch.“
„Ah, du kennst den Namen seines Maultieres?“
„Ja, auch den Namen seiner alten Flinte, welche er Liddy nennt. Ich habe oft, ohne daß ich es dir erzählte, mit ihm gesprochen. Er ist ein sehr scherzhafter Mann, aber doch ein tüchtiger Jäger.“
„Ja, das ist er, und noch weit mehr, nämlich ein treuer, aufopferungsfähiger Gefährte, den man lieb haben muß. Aber, ich möchte dich etwas fragen; wirst du mir die richtige Antwort geben, mir die Wahrheit sagen?“
„Nscho-tschi lügt nicht“, antwortete sie stolz und doch so einfach. „Am allerwenigsten aber würde sie dir eine Unwahrheit sagen.“
„Eure Krieger hatten den gefangenen Kiowas alles abgenommen, was sie bei sich hatten?“
„Ja.“
„Auch meinen drei Kameraden?“
„Ja.“
„Warum da mir nicht auch? Man hat den Inhalt meiner Taschen nicht angerührt.“
„Weil Winnetou, mein Bruder, es so befohlen hatte.“
„Und weißt du, weshalb er diesen Befehl gab?“
„Weil er dich liebte.“
„Trotzdem er mich für seinen Feind hielt?“
„Ja. Du sagtest vorhin, daß du ihn gleich vom ersten Augenblick an lieb gehabt habest; dasselbe ist auch bei ihm mit dir der Fall gewesen. Es hat ihm sehr leid getan, dich für einen Feind halten zu müssen, und nicht nur für einen Feind – – –“
Sie hielt inne, denn sie hatte etwas sagen wollen, wovon sie dachte, daß es mich beleidigen werde.
„Sprich weiter!“ bat ich.
„Nein.“
„So will ich es an deiner Stelle tun. Mich für seinen Feind halten zu müssen, das konnte ihm nicht weh tun, denn man kann auch einen Feind achten; aber er hat geglaubt, daß ich ein Lügner, ein falscher, hinterlistiger Mensch sei. Nicht?“
„Du
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