01 - Winnetou I
wird er ganz anders pfeifen. Paßt auf, ich habe es gesagt, wenn ich mich nicht irre!“
Die Apachen ließen uns nicht lange auf den Beginn des traurigen Spieles warten. Ich hatte eigentlich die Absicht, mich zu entfernen; aber ich hatte so etwas noch nicht gesehen und beschloß also, so lange zu bleiben, bis es mir nicht mehr möglich sei, länger zuzusehen.
Die Zuschauer setzten sich nieder. Mehrere junge Krieger traten, mit den Messern in den Händen, vor und stellten sich ungefähr fünfzehn Schritte von Rattler auf. Sie warfen ihre Messer nach ihm, hüteten sich aber, ihn zu treffen, sondern die Klingen fuhren alle in den Sarg, auf den er gebunden war. Das erste Messer stak links und das zweite rechts von seinem Fuß, aber so nahe an demselben, daß fast gar kein Zwischenraum vorhanden war. Die beiden nächsten Messer wurden weiter aufwärts gezielt, und so ging es fort, bis seine beiden Beine von vier Messerreihen eng eingesäumt waren.
Bis jetzt hatte er sich leidlich gehalten. Nun aber schwirrten die Messer höher und immer höher auf ihn zu, denn es galt, die Umrisse seines Körpers mit denselben zu spicken. Da bekam er Angst. Sobald ein Messer auf ihn zugeflogen kam, stieß er einen Angstschrei aus. Und diese Schreie wurden um so lauter und schriller, je höher die Indianer ihr Ziel nahmen.
Als dann der Oberkörper auch zwischen lauter Messern steckte, kam der Kopf daran. Das erste Messer fuhr rechts neben seinem Hals in den Sarg, das zweite links; so ging es hüben und drüben am Gesicht bis zum Scheitel empor, bis keine Klinge mehr Platz finden konnte. Dann wurden die Messer alle wieder herausgezogen. Es war das nur ein Vorspiel gewesen, ausgeführt von jungen Leuten, welche zeigen sollten, daß sie gelernt hatten, ruhig zu zielen und sicher zu werfen. Sie suchten ihre Plätze auf und setzten sich nieder.
Hierauf bestimmte Intschu tschuna ältere Leute, welche auf dreißig Schritte Entfernung werfen sollten. Als der erste dazu bereit war, trat der Häuptling zu Rattler heran, zeigte auf seinen rechten Oberarm und gebot:
„Hierher treffen.“
Das Messer kam geflogen, traf ganz genau den bezeichneten Punkt und fuhr durch den Muskel, diesen anspießend, in den Sargdeckel. Das war Ernst. Rattler fühlte den Schmerz und stieß ein Geheul aus, als ob es ihm bereits an das Leben gehe. Das zweite Messer fuhr durch denselben Muskel des andern Armes, und das Geheul verdoppelte sich. Der dritte und vierte Wurf waren nach dem Oberschenkel gerichtet und trafen auch dort ganz genau die Stellen, welche der Häuptling jedesmal vorher bezeichnete. Man sah kein Blut fließen, da Rattler nicht entkleidet war und die Indianer für jetzt nur solche Stellen treffen durften, wo die Verwundung keine Gefahr und also keine Verkürzung des Schauspieles mit sich brachte.
Vielleicht hatte Rattler geglaubt, daß man es gar nicht so ernst mit seinem Tod meine; jetzt mußte er einsehen, daß dies eine falsche Ansicht gewesen war. Er bekam noch Messer in die Vorderarme und in die Unterschenkel. Hatte er vorher nur einzelne Schreie ausgestoßen, so heulte er jetzt in einem fort.
Die Zuschauer murrten, zischten und gaben in vielfältig anderer Weise ihre Mißachtung zu erkennen. Ein Indianer am Marterpfahl benimmt sich da ganz anders. Sobald das Schauspiel, welches mit seinem Tod endigen soll, beginnt, stimmt er seinen Sterbegesang an, in welchem er seine Taten preist und diejenigen, die ihn martern, verhöhnt. Je größere Schmerzen man ihm zufügt, desto größer sind die Beleidigungen, die er ihnen zuwirft; nie aber wird er eine Klage ausstoßen, einen Schmerzensschrei hören lassen. Ist er dann tot, verkündigen seine Feinde seinen Ruhm und begraben ihn mit allen indianischen Ehren. Es ist ja dann auch für sie eine Ehre gewesen, zu einem so ruhmvollen Tod beizutragen.
Anders ist es bei einem Feigling, welcher bei der geringsten Verwundung schreit und brüllt und wohl gar um Gnade bittet. Diesen zu martern ist keine Ehre, sondern beinahe eine Schande; darum findet sich schließlich kein wackerer Krieger mehr, der sich ferner mit ihm beschäftigen will, und er wird erschlagen oder auf sonst eine ehrlose Weise vom Leben zum Tode gebracht.
So ein Feigling war Rattler. Seine Verwundungen waren gering und noch nicht gefährlich; sie mochten ihm zwar einige Schmerzen bereiten, aber von Qualen war noch gar keine Rede. Dennoch heulte er und zeterte er, als ob er alle Qualen der Hölle fühle, und brüllte dabei immerfort meinen
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