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01 - Winnetou I

01 - Winnetou I

Titel: 01 - Winnetou I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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wir setzten uns da nieder, wo wir jetzt gestanden hatten.
    „Das hätte ich nicht gedacht“, meinte Sam, „daß der Häuptling doch auf Euren Wunsch eingeht. Ihr müßt sehr gut bei ihm stehen.“
    „Das tut es nicht; der Grund ist ein anderer.“
    „Welcher?“
    „Es ist der Einfluß Klekih-petras, der sich selbst nach seinem Tode geltend macht. Diese Roten haben vom wahren, innern Christentum mehr in sich aufgenommen, als sie ahnen. Ich bin sehr neugierig, was nun geschieht.“
    „Werdet es gleich sehen. Paßt nur auf!“
    Jetzt wurde die Plane von dem Wagen entfernt. Wir sahen, daß man einen langen, kofferähnlichen Gegenstand, auf welchem ein Mensch festgebunden war, herabnahm.
    „Das ist der Sarg“, meinte Sam; „aus hohlgebrannten Baumklötzen zusammengesetzt und mit naßgemachten Fellen überzogen. Wenn das Leder trocken wird, zieht es sich zusammen, und der Sarg wird dadurch luftdicht verschlossen.“
    Unfern von der Stelle, wo das Seiten- auf das Haupttal stieß, erhob sich ein Felsen, an welchem aus großen Steinen ein vorn offenes Viereck zusammengesetzt worden war. Daneben lagen noch viele Steine, welche hier zusammengetragen worden waren. Nach diesem Steinviereck wurde der Sarg mitsamt dem Mann, der mit ihm zusammengebunden war, getragen. Dieser Mann war Rattler.
    „Wißt Ihr, warum man dort die Steine zusammengeschafft hat?“ fragte Sam.
    „Ich denke es mir.“
    „Nun, wozu?“
    „Man will das Grab daraus bauen.“
    „Richtig! Ein Doppelgrab.“
    „Für Rattler mit?“
    „Ja. Der Mörder wird mit seinem Opfer begraben, was eigentlich nach jedem Mord geschehen sollte, wenn es möglich wäre.“
    „Schrecklich! Lebendig an den Sarg des Ermordeten gefesselt zu sein und dabei zu wissen, daß dies zugleich die eigene, letzte Lagerstätte ist!“
    „Ich glaube gar, Ihr bedauert den Menschen wirklich! Daß Ihr für ihn gebettelt habt, das kann ich noch begreifen, aber Mitleid mit ihm zu haben, das verstehe ich wirklich nicht.“
    Jetzt wurde der Sarg aufgerichtet, so daß Rattler auf seine Füße zu stehen kam. Man band beide, den Sarg und den Menschen, mit starken Riemen an die Steinmauer fest. Die Roten, Männer, Frauen und Kinder, näherten sich der Stelle und bildeten einen Halbkreis um dieselbe. Es herrschte tiefe, erwartungsvolle Stille. Winnetou und Intschu tschuna standen neben dem Sarg, der eine rechts und der andere links davon. Da erhob der Häuptling seine Stimme:
    „Die Krieger der Apachen sind hier versammelt, Gericht zu halten, denn es hat das Volk der Apachen ein großer, schwerer Verlust betroffen, den der Schuldige mit seinem Leben bezahlen soll.“
    Intschu tschuna sprach weiter, indem er in der indianischen, bilderreichen Weise von Klekih-petra, seinem Charakter und seinem Wirken redete und dann ausführlich erzählte, in welcher Weise sich die Ermordung ereignet hatte. Er berichtete über die Gefangennahme Rattlers und machte zum Schluß bekannt, daß dieser jetzt zu Tode gemartert und dann grad so, wie er an den Sarg gebunden war, mit dem Toten begraben werden soll. Hierauf sah er zu mir herüber und gab mir den erwarteten Wink.
    Wir standen auf und wurden, als wir hinkamen, in den Halbkreis aufgenommen. Vorhin hatte ich wegen der Entfernung den Verurteilten nicht deutlich sehen können; jetzt stand ich vor ihm und fühlte, so schlecht und gottlos er gewesen war, doch ein tiefes Mitleid mit diesem Menschen.
    Der auf das Fußende gestellte Sarg war über doppelt mannesstark und über vier Ellen lang. Er sah aus, als habe man von einem dicken Baumstamm einen Klotz abgesägt und diesen mit Leder überzogen. Rattler war in der Weise mit dem Rücken auf diesen Sarg befestigt, daß seine Arme nach hinten lagen und seine Füße jetzt auseinander standen. Man sah ihm an, daß er weder Hunger noch Durst zu leiden gehabt hatte. Ein Knebel verschloß ihm den Mund; er hatte also jetzt nicht sprechen können. Auch sein Kopf war so befestigt, daß er denselben nicht bewegen konnte. Als ich kam, nahm Intschu tschuna ihm den Knebel aus dem Mund und sagte zu mir:
    „Mein weißer Bruder hat mit diesem Mörder reden wollen. Es mag geschehen!“
    Rattler sah, daß ich frei war; ich mußte mich also mit den Indianern befreundet haben; das konnte er sich sagen. Darum hatte ich geglaubt, er werde mich bitten, bei ihnen ein gutes Wort für ihn einzulegen. Statt dessen aber fuhr er, sobald der Knebel entfernt worden war, mich giftig an:
    „Was wollt Ihr von mir? Packt Euch fort; ich mag

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