Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
01 - Winnetou I

01 - Winnetou I

Titel: 01 - Winnetou I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
Herzen kommenden Ton:
    „Ich erlaube es. Ihr werdet nicht nur Brüder, sondern ein einziger Mann und Krieger mit zwei Körpern sein. Howgh!“
    Wir begaben uns nach der Stelle, wo das Grab errichtet werden sollte. Ich erkundigte mich nach dem Maß, der Bauart und der Höhe desselben und bat mir dann einige Tomahawks aus. Hierauf ging ich mit Sam, Dick Stone und Will Parker flußaufwärts in den Wald, wo wir uns passendes Holz aussuchten und mit Hilfe der Tomahawks aus demselben ein Kreuz zimmerten. Als wir mit demselben nach dem Lagerplatz zurückkehrten, hatten die Trauerfeierlichkeiten begonnen. Die Roten hatten sich um den Bau, der rasch fortgeschritten und beinahe beendet war, niedergelassen und sangen ihre eintönigen, ganz eigenartigen und tief ergreifenden Totenlieder. Der dumpfe, monotone Klang derselben wurde von Zeit zu Zeit von einem schrillen, spitzen Klageschrei übertönt, welcher wie ein rascher Blitz aus schweren, dichten Wolkenmassen emporschoß.
    Ein Dutzend Indianer waren unter Anleitung der beiden Häuptlinge an dem Bau beschäftigt, und zwischen ihnen und der klagenden Schar tanzte in grotesken, langsamen Bewegungen und Sprüngen eine sonderbar verhüllte und mit allerlei Insignien behangene Gestalt herum.
    „Wer ist das?“ fragte ich. „Der Medizinmann?“
    „Ja“, antwortete Sam.
    „Indianische Gebräuche bei dem Begräbnis eines Christen! Was sagt Ihr dazu, lieber Sam?“
    „Paßt Euch das nicht?“
    „Eigentlich nicht.“
    „Laßt es Euch ruhig gefallen, Sir! Sagt ja kein Wort dagegen! Ihr würdet die Apachen ganz fürchterlich beleidigen.“
    „Aber dieser Mummenschanz widerstrebt mir außerordentlich, mehr, als Ihr denkt!“
    „Er ist gut gemeint. Meint Ihr vielleicht, daß er heidnisch sei?“
    „Natürlich!“
    „Unsinn! Diese braven, guten Leute glauben an einen großen Geist, zu dem der verstorbene Freund und Lehrer gegangen ist. Sie begehen die Abschieds-, die Todesfeier in ihrer Weise, und alles, was der Medizinmann dabei tut und vernimmt, ist von symbolischer Bedeutung. Laßt sie also ruhig gewähren! Sie werden uns auch nicht hindern, das Grabmal mit unserm Kreuz zu krönen.“
    Als wir dieses neben dem Sarg niederlegten, fragte Winnetou:
    „Soll dieses Zeichen des Christentums mit an die Steine kommen?“
    „Ja.“
    „Das ist recht. Ich hätte meinen Bruder Old Shatterhand gebeten, ein Kreuz zu machen, denn Klekih-petra hatte in seiner Wohnung eins und betete vor demselben. Darum wünschte ich, das dieses Zeichen seines Glaubens auch an seinem Grab wache. Welchen Platz soll es bekommen?“
    „Es soll oben aus dem Grabmal ragen.“
    „So wie bei den großen, hohen Häusern, in denen die Christen zum guten Geist beten? Ich werde es so anbringen lassen, wie du es wünscht. Setzt euch nieder und seht zu, ob wir es richtig machen!“
    Nach einiger Zeit war der Bau vollendet; er wurde von unserm Kreuz gekrönt und hatte vorn eine Öffnung für den Sarg, der jetzt noch im Freien stand.
    Da kam Nscho-tschi. Sie war eben im Pueblo gewesen, um zwei aus Ton gebrannte Schalen zu holen, mit denen sie zum Fluß ging, um sie mit Wasser zu füllen. Als sie dies getan hatte, kam sie zu uns und stellte sie auf den Sarg, wozu, das sollte ich bald erfahren.
    Jetzt war alles für das Begräbnis vorbereitet. Intschu tschuna gab mit der Hand ein Zeichen, worauf die Klagegesänge verstummten. Der Medizinmann hockte sich auf die Erde nieder. Der Häuptling trat an den Sarg und sprach langsam und in feierlichem Ton:
    „Die Sonne geht des Morgens im Osten auf und sinkt des Abends im Westen nieder, und das Jahr erwacht zur Frühlingszeit und geht im Winter wieder schlafen. So ist es auch mit den Menschen. Ist es so?“
    „Howgh!“ erschallte es dumpf rund umher.
    „Der Mensch geht auf wie die Sonne und sinkt wieder nieder in das Grab. Er kommt wie ein Frühling auf die Erde und legt sich wie der Winter zur Ruhe. Aber wenn die Sonne untergegangen ist, so erscheint sie am nächsten Morgen wieder, und wenn der Winter verstreicht, so ist der Frühling wieder da. Ist es so?“
    „Howgh!“
    „So hat uns Klekih-petra gelehrt. Der Mensch wird in das Grab gelegt, aber jenseits des Todes steht er auf wie ein neuer Tag und wie ein neuer Frühling, um im Land des großen, guten Geistes weiter zu leben. Das hat uns Klekih-petra gesagt, und jetzt weiß er, ob er die Wahrheit gesprochen hat, denn er ist verschwunden wie der Tag und das Jahr, und seine Seele ging ein zur Wohnung der Verstorbenen,

Weitere Kostenlose Bücher