01 - Winnetou I
nichts mit Euch zu schaffen haben!“
„Ihr habt gehört, daß Ihr zum Tode verurteilt worden seid, Mr. Rattler“, antwortete ich ruhig. „Daran ist nichts zu ändern. Sterben müßt Ihr unbedingt. Aber ich will Euch – – –“
„Fort, Hund, fort!“ unterbrach er mich, wobei er mich anspucken wollte, mich aber nicht traf, weil er den Kopf nicht bewegen konnte.
„Also sterben müßt Ihr“, fuhr ich unbeirrt fort, „doch in welcher Weise, das soll auf Euch ankommen. Ihr sollt zu Tode gemartert werden; das heißt, man wird Euch lange, lange quälen, vielleicht heut, vielleicht auch noch morgen den ganzen Tag. Das ist entsetzlich, und ich mag es nicht haben. Auf meine Bitte hat sich Intschu tschuna bereit erklärt, Euch schnell sterben zu lassen, falls Ihr die Bedingung erfüllt, welche er daran knüpfte.“
Ich hielt inne, denn ich dachte, daß er mich nach dieser Bedingung fragen werde. Statt dessen aber warf er mir einen so schrecklichen Fluch zu, daß es ganz unmöglich ist, denselben wiederzugeben.
„Diese Bedingung ist, daß Ihr mich um Verzeihung bitten sollt“, erklärte ich weiter.
„Um Verzeihung? Dich um Verzeihung bitten?“ schrie er. „Lieber beiße ich mir die Zunge ab und erleide alle Qualen, die sich diese roten Schufte ausdenken können!“
„Wohlgemerkt, Mr. Rattler, ich bin es nicht, der diese Bedingung gestellt hat, denn ich brauche Eure Bitte nicht. Intschu tschuna hat es so gewollt, und da ich es Euch sagen sollte, so will ich dies hiermit getan haben. Bedenkt, in welcher Lage Ihr Euch befindet und was Euch droht! Es steht Euch Schreckliches bevor, eine ganz entsetzliche Todesart, welcher Ihr dadurch entgehen könnt, daß Ihr nur das eine, kleine Wort ‚Pardon’ aussprecht.“
„Fällt mir nicht ein, nie, nie! Macht Euch fort von hier! Ich mag Euer schurkisches Gesicht nicht sehen. Geht zum Teufel und meinetwegen auch noch weiter!“
„Wenn ich Euch den Willen tue und fortgehe, ist's für Euch zu spät; ich komme dann nicht wieder. Also seid verständig, und sagt das kleine Wort!“
„Nein, nein und nein!“ brüllte er.
„Ich bitte Euch darum!“
„Fort, fort, sage ich! Himmel und Hölle, warum bin ich angebunden! Hätte ich die Hände frei, so wollte ich Euch den Weg zeigen!“
„Well, Ihr sollt Euern Willen haben; aber ich sage Euch, daß ich nicht wiederkommen werde, wenn Ihr mich nachher ruft.“
„Ich dich rufen? Dich, dich? Das bilde dir ja nicht ein! Packe dich fort, sage ich, packe dich!“
„Ich will gehen. Vorher aber noch eins: Habt Ihr noch einen Wunsch? Ich will ihn Euch erfüllen. Einen Gruß an irgend jemand? Habt Ihr Verwandte, denen ich vielleicht Nachricht bringen kann?“
„Geh in die Hölle, und sag dort, daß du ein verdammter Schurke bist! Du hast mit diesen Roten gemeinschaftliche Sache gemacht und mich in ihre Gewalt gebracht. Dafür mag – – –“
„Ihr irrt“, unterbrach ich ihn. „Also Ihr habt keinen Wunsch vor Eurem Tode?“
„Nur den einen, daß Ihr mir bald nachfolgen mögt, nur diesen einen!“
„Gut, so sind wir fertig, und ich habe nichts mehr zu tun, als Euch als Christ den Rat zu geben: Fahrt nicht in Euern Sünden dahin, sondern denkt an Eure Taten und an die Vergeltung, die Euch jenseits erwartet!“
Was er hierauf antwortete, kann ich wieder nicht sagen; es überlief mich eiseskalt bei seinen Worten. Intschu tschuna nahm mich bei der Hand und führte mich fort, indem er sagte:
„Mein junger weißer Bruder sieht, daß dieser Mörder keine Fürbitte verdient; er ist ein Christ. Ihr nennt uns Heiden; aber würde ein roter Krieger solche Worte sprechen?“
Ich antwortete ihm nicht, denn was hätte ich auch sagen können oder sollen? Dieses Verhalten Rattlers hatte ich nicht erwartet. Er hatte sich früher so feig, so furchtsam gezeigt und wirklich gezittert, als von den Marterpfählen der Indianer die Rede gewesen war. Und nun, heute tat er so, als ob er sich aus allen Qualen der Welt gar nichts mache!
„Das ist nicht etwa Mut von ihm“, sagte Sam, „sondern Wut, nichts als Wut.“
„Worüber?“
„Über Euch, Sir. Er denkt, Ihr seid schuld, daß er in die Hände der Roten gefallen ist. Er hat Euch seit dem Tag, an welchem wir gefangengenommen wurden, nicht erblickt; jetzt sieht er Euch und uns frei; die Roten sind freundlich gegen uns, während er sterben soll. Das ist für ihn natürlich Grund genug, anzunehmen, daß wir falsche Karte gespielt haben. Aber laßt nur die Qualen beginnen, so
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