01 - Winnetou I
auffordernden Schrei aus und schossen ihre Gewehre ab. Rattler wurde in den Kopf getroffen und verschwand augenblicklich unter dem Wasser.
Kein Jubelruf erscholl, wie es sonst Gewohnheit der Roten ist, bei dem Tod dieses ihres Feindes. Ein solcher Feigling war es nicht wert, daß man seinetwegen nur einen Laut hören ließ. Die Verachtung der Indianer war so groß, daß sie sich gar nicht um seine Leiche kümmerten; sie ließen ihn flußabwärts treiben, ohne ihm einen Blick nachzusenden. Er konnte ja auch nur verwundet anstatt erschossen worden sein; ja, er konnte nur so getan haben, als ob er getroffen worden sei, und, so wie ich, untergetaucht sein, um an einer andern, für sie unsichtbaren Stelle wieder auf der Oberfläche zu erscheinen. Sie hielten es aber gar nicht für der Mühe wert, sich weiter mit ihm zu beschäftigen.
Intschu tschuna kam zu mir und fragte:
„Ist mein junger weißer Bruder jetzt mit mir zufrieden?“
„Ja. Ich danke dir!“
„Du hast keinen Grund zum Dank. Auch wenn ich deinen Wunsch nicht gekannt hätte, würde ich genauso gehandelt haben. Dieser Hund war gar nicht wert, den Martertod zu erleiden. Heut hast du den Unterschied zwischen uns Heiden und euch Christen, zwischen tapfern roten Kriegern und weißen Feiglingen gesehen. Die Bleichgesichter sind zu allen bösen Taten fähig, aber wenn es gilt, Mut zu zeigen, dann heulen sie vor Angst wie Hunde, welche Schläge bekommen sollen.“
„Der Häuptling der Apachen darf nicht vergessen, daß es überall tapfere und feige, gute und böse Menschen gibt!“
„Du hast recht, und ich wollte dich nicht beleidigen; aber dann darf auch kein Volk denken, daß es besser als ein anderes sei, weil dieses nicht dieselbe Farbe hat.“
Um ihn von diesem heiklen Gegenstand abzulenken, erkundigte ich mich:
„Was werden die Krieger der Apachen jetzt nun tun? Klekih-petra begraben?“
„Ja.“
„Darf ich mit meinen Gefährten dabei sein?“
„Ja. Wenn du nicht gefragt hättest, würde ich dich darum gebeten haben. Du hast damals mit Klekih-petra gesprochen, als wir fortgingen, um die Pferde zu holen. War es nur ein gewöhnliches Gespräch?“
„Nein, sondern ein sehr ernstes, für ihn und auch für mich wichtiges. Darf ich euch sagen, wovon wir geredet haben?“
Ich wendete jetzt die Mehrzahl an, weil Winnetou zu uns getreten war.
„Sage es!“ antwortete dieser.
„Als ihr fort wart, setzten wir uns zueinander. Wir bemerkten bald, daß seine Heimat auch die meinige sei, und unterhielten uns in unserer Muttersprache. Er hatte viel erlebt und viel erduldet und erzählte es mir. Er sagte mir, wie lieb er euch habe und daß es sein Wunsch sei, für Winnetou sterben zu können. Der große Geist hat ihm diesen Wunsch nur wenige Minuten später erfüllt.“
„Warum wollte er für mich sterben?“
„Weil er dich liebte, und aus noch einem anderen Grund, den ich dir später wohl mitteilen werde. Sein Tod sollte eine Sühne sein.“
„Als er sterbend an meinem Herzen lag, redete er zu dir in einer Sprache, welche ich nicht verstand. Welche war es?“
„Unsere Muttersprache.“
„Sprach er da auch von mir?“
„Ja.“
„Was?“
„Er bat mich, dir treu zu bleiben.“
„Mir – treu – zu – bleiben –? Du kanntest mich doch noch gar nicht!“
„Ich kannte dich, denn ich hatte dich gesehen, und wer Winnetou sieht, der weiß, wen er vor sich hat, und er hatte mir ja von dir erzählt!“
„Was antwortetest du ihm?“
„Ich versprach ihm, diesen Wunsch zu erfüllen.“
„Es war sein letzter, den er im Leben hatte. Du bist sein Erbe geworden, du hast ihm gelobt, mir treu zu sein, hast mich behütet, bewacht und geschont, während ich dich als meinen Feind verfolgte. Der Stich meines Messers wäre für jeden andern tödlich gewesen, doch dein starker Körper hat ihn überwunden. Ich stehe in tiefer, tiefer Schuld bei dir. Sei mein Freund!“
„Ich bin es längst.“
„Mein Bruder!“
„Von ganzem Herzen gern.“
„So wollen wir den Bund am Grab dessen schließen, der meine Seele der deinigen übergeben hat! Ein edles Bleichgesicht ist von uns gegangen und hat uns, noch im Verscheiden, ein anderes, ebenso edles zugeführt. Mein Blut soll dein Blut und dein Blut mein Blut sein! Ich werde das deinige und du wirst das meinige trinken. Intschu tschuna, der größte Häuptling der Apachen, der mein Vater und Erzeuger ist, wird es mir erlauben!“
Intschu tschuna reichte uns seine Hände und sagte in einem von
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