01 - Winnetou I
auf eine Kuh absah?“
„Das nicht, obgleich ich es für mutiger hielt, sich ein starkes Tier auszuwählen.“
„Und Bullenfleisch zu essen? Was seid Ihr doch für ein ausnehmend kluger Mensch, Sir! Dieser Bulle hat sicher seine achtzehn bis zwanzig Jahre auf dem Rücken; er besteht aus einem Fell und vielen Knochen und Flechsen und Sehnen. Und das Fleisch, welches er dabei hat, ist nicht mehr Fleisch zu nennen, denn es ist so hart wie gegerbtes Leder, und wenn Ihr es tagelang bratet oder kocht, so könnt Ihr es doch nicht kauen. Jeder erfahrene Westmann zieht eine Kuh dem Ochsen vor, weil ihr Fleisch zarter und saftiger ist. Da seht Ihr nun wieder, was für ein Greenhorn Ihr seid. Ich hatte keine Zeit, auf Euch aufzupassen. Wie hat sich denn Euer leichtsinniger Angriff auf den Büffel abgespielt?“
Ich erzählte es ihm. Als ich fertig war, maß er mich mit großen Augen, schüttelte abermals den Kopf und forderte mich auf:
„Geht da hinunter und holt Euer Pferd! Wir brauchen es, denn es soll das Fleisch tragen, weiches wir mitnehmen werden.“
Ich folgte dieser Aufforderung. Aufrichtig gestanden, fühlte ich mich enttäuscht über sein Verhalten. Er hatte meine Darstellung angehört, ohne dann auch nur ein Wort zu sagen. Ich glaubte aber, eine, wenn auch noch so kleine, Anerkennung erwarten zu dürfen. Anstatt dessen sagte er gar nichts, sondern schickte mich fort, mein Pferd zu holen. Ich war ihm trotzdem nicht bös, denn ich bin niemals ein Mensch gewesen, der um des Lobes willen etwas tut.
Als ich das Pferd brachte, kniete Sam bei der von ihm erlegten Büffelkuh, hatte von dem einen Hinterschenkel kunstgerecht das Fell entfernt und schälte nun die Lende heraus.
„So“, sagte er, „das gibt für heut abend einen Braten, wie wir lange Zeit keinen gegessen haben. Diese Lende laden wir mit dem Sattel und dem Zaum auf Euer Pferd. Sie ist bloß für mich, Euch, Will und Dick. Wenn die andern auch etwas haben wollen, so mögen sie hierherreiten und sich die Kuh holen.“
„Wenn sie nicht inzwischen von Aasvögeln und andern wilden Tieren weggefressen wird.“
„So? Wie klug Ihr doch seid! Es versteht sich ganz von selbst, daß wir sie mit Zweigen bedecken und dann Steine darauflegen. Es müßte ein Bär oder ein anderes großes Raubtier sein, welches nachher dazu könnte.“
Ich schnitt also starke Zweige aus dem nahen Gebüsch und holte schwere Steine herbei. Wir bedeckten die Kuh damit und beluden dann mein Pferd. Dabei erkundigte ich mich:
„Was wird denn mit dem Bullen?“
„Mit dem? Was soll aus ihm werden?“
„Können wir denn nichts von ihm brauchen?“
„Gar nichts.“
„Auch nicht das Leder?“
„Seid Ihr ein Lohgerber? Ich bin keiner!“
„Ich habe aber doch gelesen, daß die Häute der erlegten Büffel in sogenannten Caches versteckt und aufgehoben werden!“
„So, das habt Ihr gelesen? Na, wenn Ihr es gelesen habt, so muß es ja wahr sein, denn alles, was man über den wilden Westen liest, ist wahr, ganz außerordentlich wahr, ganz unumstößlich wahr, hihihihi! Es gibt allerdings Westmänner, welche die Tiere um der Felle willen erlegen; ich habe es auch schon getan; aber jetzt gehören wir nicht dazu und werden uns hüten, uns mit dieser schweren Haut zu schleppen.“
Wir brachen auf und kamen, obgleich wir laufen mußten, schon nach einer halben Stunde im Lager an, denn weiter war dieses nicht von dem Tal entfernt, in welchem ich meinen ersten oder vielmehr meine zwei ersten Büffel erlegt hatte.
Daß wir zu Fuß kamen und Sams Pferd nicht mitbrachten, erregte Aufsehen. Wir wurden nach der Ursache gefragt.
„Haben Büffel gejagt, und mein Pferd ist dabei von einem Bullen aufgeschlitzt worden“, antwortete Sam Hawkens.
„Büffel gejagt, Büffel, Büffel, Büffel!“ erklang es aus aller Mund. „Wo denn, wo?“
„Eine kleine halbe Stunde von hier. Haben uns die Lende mitgebracht; könnt euch das Übrige holen.“
„Das werden wir; ja, das werden wir“, rief Rattler, welcher so tat, als ob zwischen ihm und mir nichts vorgefallen sei. „Wo ist der Ort?“
„Reitet auf unserer Fährte zurück, so werdet Ihr ihn finden; habt ja Augen genug, wenn ich mich nicht irre.“
„Wieviel Stück sind es gewesen?“
„Zwanzig.“
„Und wieviel habt Ihr denn erlegt?“
„Eine Kuh.“
„Bloß? Wo sind die andern hin?“
„Fort. Könnt sie euch suchen. Habe mich nicht darum gekümmert, wohin sie spazieren wollten, und sie auch nicht danach gefragt,
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