01 - Winnetou I
Mustangs. Die von uns verjagten Vorposten sind zurückgekehrt und haben die Herde gewarnt; diese schlägt nun sicher eine ganz andere Richtung ein und wird sich hüten, durch dieses Tal zu kommen.“
Als der Morgen anbrach, verlegten wir unser Lager nach dem oberen Teil desselben. Hawkens, Stone und Parker beteiligten sich nicht daran, denn der erstere wollte seine neue ‚Mary’ zureiten, und die beiden anderen begleiteten ihn, als er sich nach der Prärie entfernte, auf welcher wir das Maultier gefangen hatten; dort gab es für sein Vorhaben Platz genug.
Wir Surveyors beschäftigten uns zunächst mit dem Anbringen der Meßstangen, wobei uns einige Untergebene von Rattler halfen; dieser selbst schlenderte mit den anderen nichtstuend in der Umgebung herum. Dabei kamen wir und auch er der Stelle näher, an welcher ich die beiden Büffel erlegt hatte. Zu meinem Erstaunen bemerkte ich da, daß der alte Bulle nicht mehr da war. Wir gingen hin und sahen, daß von dem Punkt, wo er gelegen hatte, eine breite Spur nach den Büschen führte; das Gras war gegen zwei Ellen breit niedergeschleift.
„Alle Wetter! Ist so etwas möglich?“ rief Rattler aus. „Ich habe, als wir das Fleisch holten, die beiden Bullen doch genau untersucht; sie waren tot, und doch hat dieser hier noch Leben in sich gehabt.“
„Meint Ihr das?“ fragte ich ihn.
„Jawohl. Oder denkt Ihr, daß ein toter Büffel sich entfernen kann?“
„Muß er sich selbst entfernt haben? Er kann doch auch entfernt worden sein.“
„So? Von wem denn?“
„Von Indianern zum Beispiel. Wir haben weiter oben die Spur eines Indianerfußes entdeckt.“
„So! Wie klug und weise doch so ein Greenhorn reden kann! Wenn er von Indianern fortgeschafft worden wäre, woher sollen diese gekommen sein?“
„Irgendwoher.“
„Das ist sehr richtig. Vielleicht sogar vom Himmel herunter! Denn von da herunter müssen sie gefallen sein, weil man sonst ihre Fährte sehen müßte. Nein, es ist noch Leben in dem Büffel gewesen, und er hat sich, als er erwachte, von hier fort und in die Büsche geschleppt; dort ist er natürlich inzwischen verendet. Wollen gleich einmal nachsuchen.“
Er ging mit seinen Leuten der Spur nach. Vielleicht hatte er geglaubt, ich würde mitgehen; ich tat dies aber nicht, denn die höhnische Art und Weise, in der er mit mir gesprochen hatte, gefiel mir nicht, und ich hatte zu arbeiten; übrigens konnte es mir auch sehr gleichgültig sein, wohin die Leiche des alten Bullen gekommen war. Ich wendete mich also meiner Beschäftigung wieder zu, hatte aber noch nicht zur Meßstange gegriffen, als aus dem Gebüsch ein vielstimmiges Angstgeschrei erscholl; zwei, drei Schüsse krachten, und dann hörte ich Rattler rufen:
„Auf die Bäume, schnell auf die Bäume, sonst seid Ihr verloren! Er kann nicht klettern.“
Wen meinte er, der nicht klettern konnte? Da kam einer seiner Leute aus dem Gebüsch gesprungen, und zwar in Sätzen, wie man sie nur in der Todesangst zu machen vermag.
„Was ist's, was gibt's?“ rief ich ihm zu.
„Ein Bär, ein gewaltiger Bär, ein grauer Grizzlybär!“ keuchte er, indem er an mir vor überrannte.
Zu gleicher Zeit schrie eine zeternde Stimme:
„Zu Hilfe, zu Hilfe! Er hat mich fest! Oh, oh!“
In dieser Weise konnte ein Mensch nur dann brüllen, wenn er den offenen Rachen des Todes vor sich gähnen sah. Der Mann befand sich jedenfalls in der äußersten Gefahr; es mußte ihm Hilfe werden. Aber wie? Ich hatte mein Gewehr beim Zelt gelassen, weil es mich bei der Arbeit hinderte. Dies war keine Unvorsichtigkeit von mir gewesen, da wir Surveyors ja die Westmänner zu unserem Schutz bei uns hatten. Wollte ich erst nach dem Zelt laufen, so wurde der Mann, ehe ich zurückkam, von dem Bären zerrissen; ich mußte also hin zu ihm, so wie ich war; ich hatte nur das Messer und die beiden Revolver im Gürtel. Was aber sind das für Waffen gegen einen Grizzlybären! Der Grizzly ist ein naher Verwandter des ausgestorbenen Höhlenbären und gehört eigentlich mehr der Urzeit als der Gegenwart an. Er wird bis neun Fuß lang, und ich habe Exemplare erlegt, welche ebenso viele Zentner schwer waren. Seine Muskelkraft ist so riesig, daß er, einen Hirsch, ein Fohlen oder eine Bisonfärse im Rachen, mit Leichtigkeit davontrabt. Ein Reiter kann ihm nur dann entfliehen, wenn er ein sehr kräftiges und ausdauerndes Pferd besitzt, sonst holt ihn der graue Bär sicher ein. Bei der riesigen Stärke, der absoluten Furchtlosigkeit und nie
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