01 - Winnetou I
seiner roten Freunde und Brüder?“
„Bao, der listige Fuchs, hat mich getroffen, weil er sich auf meiner Fährte befindet“, antwortete Sam.
„Wir glaubten, es sei die Spur der roten Hunde, die wir suchen“, meinte der Fuchs in gebrochenem, aber ziemlich verständlichem Englisch.
„Welche Hunde meint mein roter Bruder?“
„Die Apachen vom Stamm der Mescaleros.“
„Warum nennt ihr sie Hunde? Ist ein Streit ausgebrochen zwischen ihnen und meinen Brüdern, den tapfern Kiowas?“
„Das Kriegsbeil ist ausgegraben zwischen uns und diesen räudigen Coyoten.“
„Uff! Das freut mich zu hören! Meine Brüder mögen sich zu uns setzen, denn ich habe ihnen Wichtiges zu sagen.“
Der Fuchs sah mich forschend an und fragte:
„Ich habe dieses Bleichgesicht noch nie gesehen; es ist noch jung; gehört es bereits unter die Krieger der weißen Männer? Hat es sich schon einen Namen erworben?“
Hätte Sam meinen deutschen Namen gesagt, so hätte derselbe keinen Effekt gemacht. Da besann er sich auf das Wort, welches Wheeler ausgesprochen hatte, und antwortete:
„Dieser mein liebster Freund und Bruder ist jüngst erst über das große Wasser gekommen und ein großer Krieger bei seinem Volk. Er hatte noch nie in seinem Leben einen Büffel oder einen Bären gesehen und dennoch vorgestern mit zwei alten Büffelbullen gekämpft und sie erlegt, um mir das Leben zu retten, und dann gestern den grauen Grizzly des Felsengebirges mit dem Messer erstochen, ohne daß ihm dabei die Haut geritzt worden ist.“
„Uff, uff!“ riefen die Roten, mich bewundernd, aus, und Sam fuhr, allerdings in überschwenglicher Weise, fort:
„Seine Kugel verfehlt niemals ihr Ziel, und in seiner Hand wohnt so viel Kraft, daß er jeden Feind mit einem einzigen Hieb seiner Faust zu Boden schmettert. Darum haben ihm die weißen Männer des Westens den Namen Old Shatterhand gegeben.“
So, da war ich ja ganz ohne meine Einwilligung mit einem Kriegsnamen ausgerüstet worden, den ich seit jener Zeit da drüben stets getragen habe. Das ist so Sitte im Westen. Oft kennen die besten Freunde gegenseitig ihre wirklichen Namen nicht.
Der Fuchs reichte mir die Hand und sagte in freundlichem Ton:
„Wenn Old Shatterhand es erlaubt, werden wir seine Freunde und Brüder sein. Wir lieben solche Männer, welche ihre Feinde mit einem Schlag niederschmettern. Darum wirst du hochwillkommen sein in unsern Zelten.“
Das hieß mit andern Worten: Wir brauchen Spitzbuben von einer solchen Körperkraft, wie du sie besitzt; darum komm zu uns. Wenn du mit uns und für uns maust, stiehlst und raubst, sollst du es leidlich gut bei uns haben. Trotzdem antwortete ich so ziemlich mit jener Würde, welche ich mir später ganz zu eigen gemacht habe:
„Ich liebe die roten Männer, denn sie sind die Söhne des großen Geistes, dessen Kinder auch die Bleichgesichter sind. Wir sind Brüder und wollen uns beistehen gegen alle Feinde, welche uns und euch nicht achten!“
Ein wohlgefälliges Schmunzeln ging über sein mit Fett und Farbe beschmiertes Gesicht, als er mir hierauf versicherte:
„Old Shatterhand hat wohl gesprochen. Wir wollen die Pfeife des Friedens mit ihm rauchen.“
Hierauf setzten sie sich mit uns an das Wasser. Er zog eine Pfeife hervor, deren lieblich-niederträchtige Penetranz meine Nase schon von weitem empörte, und stopfte sie mit einer Mischung, welche aus zerstoßenen roten Rüben, Hanfblättern, geschnittenen Eicheln und Sauerampfer zu bestehen schien, versetzte sie in Brand, stand auf, tat einen Zug, blies den Rauch gen Himmel und gegen die Erde und sagte:
„Da oben wohnt der gute Geist, und hier auf der Erde wachsen die Pflanzen und die Tiere, welche er für die Krieger der Kiowas bestimmt hat.“
Hierauf tat er vier weitere Züge und fuhr fort, nachdem er den Rauch nach Norden, Süden, Osten und Westen geblasen hatte:
„Nach diesen Gegenden hin wohnen die roten und weißen Männer, welche diese Tiere und Pflanzen unrechtmäßigerweise für sich behalten. Wir werden sie aber aufsuchen und uns nehmen, was uns gehört. Ich habe gesprochen; howgh!“
Welch eine Rede! So ganz anders als diejenigen, welche ich bisher gelesen hatte oder später so oft gehört habe. Dieser Kiowa sagte ja hier mit offenen Worten, daß er die sämtlichen Erzeugnisse des Tier- und Pflanzenreiches als Eigentum seines Stammes betrachte und darum den Raub nicht nur für sein Recht halte, sondern sogar als seine Pflicht betrachte! Und ich sollte dieser Leute Freund
Weitere Kostenlose Bücher