01 - Winnetou I
Sprache ihres Volkes. Wir sollten sie nicht verstehen, was wir auch als ein für uns ungünstiges Zeichen betrachten mußten. Sie hielten sich für die Herren der Situation, und ihr Verhalten zu uns glich demjenigen eines Menagerielöwen, der ein Hündchen bei sich duldet.
Die Ausführung unseres Vorhabens wurde dadurch erschwert, daß nur vier Personen davon wissen durften, nämlich Sam Hawkens, Dick Stone, Will Parker und ich. Die anderen wollten und durften wir nicht in das Geheimnis ziehen, weil sie wahrscheinlich dagegen gewesen wären und die Ausführung desselben hintertrieben oder gar den Kiowas Mitteilung davon gemacht hätten. Die lagen hier bei uns, und wir mußten hoffen, daß sie später alle schlafen würden. Deshalb und weil, wenn unser Vorhaben gelang, dann von einer Ruhe für uns wohl keine Rede war, meinte Sam, daß es für uns angezeigt sei, zu versuchen, ob wir jetzt ein wenig schlafen könnten. Wir legten uns also nieder, und ich war trotz der seelischen Anstrengung, in welcher ich mich befand, so glücklich, bald einzuschlafen. Später wurde ich von Sam geweckt. Damals verstand ich es noch nicht so wie später, die Zeit nach dem Stand der Sterne zu bestimmen; aber es mochte kurz nach Mitternacht sein. Unsere Gefährten schliefen, und das Feuer war niedergebrannt. Die Kiowas unterhielten nur ein Feuer und hatten die andern ausgehen lassen. Wir konnten miteinander sprechen, was allerdings nur leise geschehen durfte. Parker und Stone waren auch wach. Sam flüsterte mir zu:
„Es gilt vor allen Dingen, eine Wahl zu treffen, denn alle vier dürfen wir nicht fort von hier. Es genügen zwei.“
„Zu denen gehöre natürlich ich!“ antwortete ich ihm in bestimmtem Ton.
„Oho, nicht so eilig, bester Sir! Die Sache ist lebensgefährlich.“
„Das weiß ich.“
„Und Ihr wollt Euer Leben wagen?“
„Ja.“
„Well! Ihr seid eben ein braver Kerl, wenn ich mich nicht irre. Aber wir haben es mit noch einer anderen Gefahr zu tun, nicht nur mit derjenigen, in welche wir unser Leben bringen.“
„Welche meint Ihr?“
„Es hängt das Gelingen unseres Vorhabens von den Personen ab, die es ausführen.“
„Das ist richtig.“
„Freut mich, daß Ihr dies zugebt, und darum denke ich, daß Ihr darauf verzichten werdet, selbst mitzutun.“
„Fällt mir nicht ein!“
„Seid vernünftig, Sir! Laßt mich mit Dick Stone gehen!“
„Nein.“
„Ihr seid noch zu neu. Ihr versteht vom Anschleichen so gut wie noch gar nichts.“
„Möglich. Heute aber werde ich Euch beweisen, daß man auch etwas fertigbringt, was man nicht versteht. Man muß nur Lust dazu haben.“
„Und Geschick, Sir, Geschick! Und das habt Ihr eben nicht. Das muß erstens angeboren sein und dann geübt werden. Die Übung aber ist's, die Euch fehlt.“
„Es kommt auf eine Probe an.“
„Wollt Ihr eine machen?“
„Ja.“
„Welche?“
„Wißt Ihr, ob der Häuptling Tangua schläft?“
„Nein.“
„Und doch ist es für uns wichtig, dies zu wissen, nicht wahr, Sam?“
„Ja. Ich will mich nachher einmal hinschleichen.“
„Nein; das werde ich tun.“
„Ihr? Warum?“
„Eben um die Probe zu machen.“
„Ah, so! Aber wenn man Euch entdeckt!“
„So schadet es nichts, denn es gibt eine gute Ausrede. Ich habe mich überzeugen wollen, daß die Wachen ihre Schuldigkeit tun.“
„Well, das geht. Aber wozu soll diese Probe dienen?“
„Um mir Euer Vertrauen zu erwerben. Ich denke, wenn ich sie bestehe, so weigert Ihr Euch nicht, mich mit zu Winnetou zu nehmen.“
„Hm! Darüber müßten wir dann noch reden.“
„Meinetwegen! Also ich darf jetzt fort zum Häuptling?“
„Ja. Aber nehmt Euch in acht! Wenn man Euch erwischt, so schöpft man Verdacht, wenn auch nicht jetzt, so doch später, wenn Winnetou fort ist. Man wird denken, daß Ihr ihn losgeschnitten habt.“
„Und sich dabei in keinem sehr großen Irrtum befinden.“
„Nehmt ja jeden Baum und jeden Strauch zur Deckung, und hütet Euch, eine Stelle zu berühren, wohin der Schein des Feuers fällt. Müßt Euch stets im Dunkeln halten!“
„Werde mich im Dunkeln halten, Sam!“
„Hoffe es. Es sind noch wenigstens dreißig Kiowas munter, wenn ich mich nicht irre, die Wächter gar nicht mitgerechnet. Wenn Ihr es fertigbringt, nicht bemerkt zu werden, so will ich Euch loben und bei mir denken, daß doch noch einmal, vielleicht nach zehn Jahren, ein Westmann aus Euch werden kann, obgleich Ihr trotz aller meiner guten Lehren jetzt noch ein
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